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Ein Hilferuf!

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Der Österreicher KarlStrobl, in Wien, XL, Simmeringer Hauptstraße 12, wohnhaft, ist seit dreieinhalb Jahren unter der Gefangenennummer 1,293.131 (Lager Nr. 1102) in dem Maison d’Arret in Rennes, 56, Boulevard Jaques Cartier, inhaftiert. Wir geben hier in allen wesentlichen Punkten dem Inhalt seines Schreibens Raum, in welchem er der „Furche” sein Los und das seiner sieben Leidensgefährten schildert:

„Als einer von acht Österreichern — sieben Männern und einer Frau —, die nun schon seit langem hinter französischen Gefängnismauern gehalten werden, will ich von unserem harten Los berichten und Sie um etwa bitten. Am 25. Juni 1945 wurde ich unter dem Verdachte des Kriegsverbrechens verhaftet. Was dann folgte, war ein Leidensweg, gegen den das, dessen man mich beschuldigt, gering ist. Aber dies muß ich meinen Richtern überlassen — sie haben darüber zu urteilen. Ich komme nun mit meiner Bitte und der meiner Kameraden: Seit 3 /s Jahren bin ich hinter Gittern, obwohl mich und meine Kameraden keine Schuld drückt. Dieses Leben ist nervenzerrüttend und qualvoll. Von keiner Seite kommt Hilfe. Das Internationale Rote Kreuz hat uns an die österreichische Gesandtschaft verwiesen, leider scheinen dieser die Hände gebunden zu sein, denn innerhalb dieser 31/ Jahre bekam ich ein einziges Mal eine kleine Aushilfe. Wir wissen, wie arm Österreich ist, aber ist Deutschland nicht noch ärmer und trotzdem werden die deutschen Kameraden in jeder Hinsicht von ihrer Heimat unterstützt. Wir sind keine Verbrecher, sondern unbescholtene Familienväter und durch den Krieg in diese Lage gekommen. Unsere Lage und die unserer Frauen und Kinder bringt uns zur Verzweiflung. Könnten Sie nicht in Ihrer Zeitung die Bitte veröffentlichen, daß sich uns österreichische Rechtsanwälte zu Rat und Hilfe in unserer Muttersprache zur Verfügung stellen? Vergüten können wir es ihnen nicht, denn wir sind vollkommen mittellos und ohne jeden Verdienst. An alle Stellen haben wir uns gewendet, aber niemand hat uns geholfen. Will man, daß wir hier zugrunde gehen, so soll man es uns wissen lassen. Was sollen unsere Familien denken, wenn immer wiederholt wird, kein österreichischer Kriegsgefangener befindet sich mehr in Frankreich.

Bei mir jährt es sich heuer zum 5. Male, daß ich fern von meiner Familie Weihnachten vorübergehen sehe. Das Fest, das immer höchstes Glück inmitten unserer Kinder war. In Erinnerung daran möchte ich in meiner Zelle Aufschreien vor Schmerz …”

Soweit dieser erschütternde Brief. — Wird jemand eines Verbrechens bezichtigt, so ist es die Pflicht der berufenen Stelle, gegen ihn die Anklage zu erheben. Will sie sich seiner Person versichern, so kann sie ihn bis zur Verhandlung auch in Haft nehmen. Allen Gesetzen der Menschlichkeit aber würde es widersprechen, würde sich eine solche Untersuchungshaft durch ungebührlichen Zeitablauf gleichsam automatisch in die Strafe selbst verwandeln. Denn nach allgemeingültigen Rechtsbegriffen gibt es niemals eine Strafe ohne Urteil und dieses wieder nicht ohne vorhergehende Verhandlung. Dreieinhalb Jahre Untersuchungshaft! Es ist nicht vorstellbar, daß man für di Unmöglichkeit eines solchen Zustandes in einem Kulturlande vom Range Frankreichs nicht Verständnis finden sollte. Sehr dankenswert wäre es, wenn sich österreichische Rechtsanwälte bereit finden würden, sich der Sache dieser acht Österreicher anzunehmen.

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