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Max Reger und sein Dämon

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„Aber ich kann nicht kommen, um dieses Paradies zu sehen. Erst dann, wenn mein .Dämon' Arbeit, Arbeit, Schaffen und nie Rasten mir mal Frieden gewährt, aber ich fürchte, das wird dieser Dämon nie tun!“ — So schrieb Reger im Frühjahr 1912 an den Herzog Georg, der ihn aufforderte, einmal den schönen Süden, die Villa Carlotta am Comersee, zu besuchen. Dieser Dämon eines hemmungslosen Arbeiters war es, der Reger wie in Vorahnung einer nur kurzen Lebenszeit von einem Tun ins andere trieb, damit aber zugleich Zusammenbruch und frühzeitigen Tod heraufbeschwor.

Reger hatte früher einmal den Wunsch geäußert, Hofkapellmeister in Meiningen zu werden. Ihn lockte die Erinnerung an die hohe Brahms-Pflege, an die Blütezeit des Meininger Orchesters unter Hans von Bülow, die ebenso wie einst die Theaterblüte der Stadt den kunstsinnigen Zielsetzungen Herzog Georgs II. zu danken war. 1911 nahm dieser Wunsch in ungeahnter Weise greifbare Gestalt an, und der hochbetagte Herzog berief den Meister an die Stelle, die seinem großen Aufgabenkreis eine neue künstlerische wie organisatorische Tätigkeit hinzugesellte. Drei Jahre, bis zu seinem körperlichen Zusammenbruch im Frühjahr 1914, wirkte Reger in Meiningen, stürzte sich mit Feuereifer auf den Aufbau der an sich kleinen Kapelle, organisierte eine Fülle Konzertreisen, die kreuz und quer durch Deutschland führten und auch ins Ausland, und verschaffte, wahrhaft ein berufener Nachfolger Bülows, dem Meininger Orchester noch einmal Weltruf. Es war der Ausklang der Meininger Kunstblüte, -die mit Regers Abtritt, des Herzogs Tod, und mit der Auflösung der Kapelle selbst zu Beginn des ersten Weltkrieges nun ihr endgültiges Ende fand.

Ein Briefwechsel zwischen Reger und dem Herzog Georg, der drei Jahre (von 1911 bis 1914) umspannt ist eine ganz vorzügliche Aufschlußquelle über Reger als Mensch und Künstler und darf stärkste Beachtung beanspruchen; daneben kann die wissenschaftliche Ausgabe selbst als mustergültig angesprochen werden. Wie ein Roman zieht dieses letzte Kapitel-des Dramas „Max Reger und sein Dämon Arbeit“ an uns vorüber, und die Gestalt des Künstlers, sein ganzes Wesen, tritt gerade in dieser menschlichen Gegenüberstellung seiner freien, eigenen Gesetzen und' einer eigenen Auffassung von Welt und Dingen folgenden Natur mit der des aristokratischen und in Haltung wie Ord-nungsschemeh gezügelten Herzogs in einzigartiger Klarheit hervor. Zwei Welten stoßen hier aufeinander, und es ist zweifelsohne der einsichtige, weltgewandte, aber auch menschlich große und freundschaftlichst gesinnte Fürst, der Reger vor Unbedachtsamkeiten bewahrt und ausgleichend wirkt. Ja, vieles in den Briefen seines Hofkapellmeisters, was in ihrer Impulsivität mißverständlich ist, wie takt-

Der Direktor des Internationalen Musiker-Briefarchivs in Berlin, Dr. E. H. Mue 11 er von Asow legt in Zusammenarbeit mit Hedwig Mueller von Asow — die im Vorjahre die ausgezeichnete Ausgabe von Beethovens „Heiligenstädter Testament“ in Fasimile nebst allen wissenswerten Anmerkungen und Auszügen im gleichen Verlag herausbrachte -i- im Verlag Böhlaus Nachf. — Weimar:MaxRe-gers umfangreichen Briefwechsel mit Herzog Georg II, von Sachsen-Meiningen vor (750 Seiten, geb. Mk. 40.—, S 120.—, mit 17 Bildtafeln, 4 Faksimiles und reichem Tabellenmaterial). los wirkt, nahm er hin im Verständnis dieser großen schöpferischen Persönlichkeit Regers, die hemmungslos und oft ohne logisches Durchdenken ausströmte, was sie gerade bewegte und erregte, und redselig sich selbst hinschüttete ohne viel zu bedenken. So ist dieser Briefwechsel zugleich ein Dokument hochherziger Freundschaft. An seinem 40. Geburtstage gestand der Meister dem Herzog offen: „Ich selbst werde an diesem Tage den lieben Herrgott bitten, daß er mir Kraft gibt, daß ich nicht mehr so viel Dummheiten mache als bisher!“

Interessant ist vor allem, wie Reger so alles und jedes durch die Brille seines eigensten subjektiven Auffassens und Erlebens anschaut und nur mit Mühe von einem objektiven Tatbestand überzeugt werden kann. Ob es nun Dienstverordnungen waren oder Besprechungen seiner Werke selbst in harmlosen Worten der Kritik oder der Dirigent Steinbach im Hinblick auf seine eigenen Brahms-Bearbeitungen, wo er fürchtete, daß dieser ihn öffentlich im Konzert auszischen und seine Stellung untergraben könnte, weshalb er den Herzog bat, ihn nicht zum Musikfest einzuladen: es folgt in diesen Briefen ein Bild subjektiver Anschauung und subjektiven Handelns dem anderen. Es gab unstreitig von seifen der Hofkamarilla Intrigen gegen ihn, aber wenn sie vermochten, seinen Zusammenbruch mit heraufzuführen, so war es seine sensible Natur, die ihn unter jedem kleinsten Nadelstich leiden und seine Notwehr sich hoffnungslos in den Maschen der Bürokratie — die ihm so unendlich fremd war — verfangen ließ. Aber durch alles dies leitet Reger sein Dämon Arbeit; unverwüstlich ist seine Natur. Di“ ihn vollauf beschäftigende Kapellmcister'clle, den Unterricht am Leipziger Konservatorium, die Konzertreisen mit der Kapölle und in eigener Kunst, die jährlich hundert übersteigen, seine kompositorische Tätigkeit, die organisatorischen und Briefverpflichtungen, alles das leistet er, fast ohne je regelrecht in der Nacht zu schlafen. Er rühmt sich dieser „Bärennatur“. Und es ist einfach unheimlich, welche Arbeitslast dieser Mensch auf seine Schultern nimmt. Vergeblich warnt der Herzog, warnen die Ärzte. Immer kehrt in den Briefen des Herzogs der Satz wieder: „George Dan-din, tu l'as voulu!“ Oder er erhebt sich zu Kraftstellen wie: „Ihre Gesundheit ist Ihnen nicht gegeben, um sie zu zertrampeln. Himmeldonnerwetter! Schränken Sie vom nächsten Frühjahr an Ihre Extravaganzen ein! Möge es noch Zeit seinl“ Aber Reger hört nicht. „Humor ist bei mir die Kraft, die mich aufrecht erhält, selbst wenn der Körper schwach werden sollte — was übrigens nicht vorkommt und auch nicht vorkommen darf. Wofür hat mir denn der liebe Herrgott die Zähne gegeben, als daß man sie zusammenbeißt?!“ — Und als der Herzog mit Rücksicht auf die ständigen Nachtfahrten von Leipzig vorschlägt, die Proben der Kapelle doch erst mit 10 Uhr anzusetzen, schreibt Reger: „Ich kann unmöglich die Proben erst um 10 Uhr beginnen; jeder Beamte beginnt um 8 Uhr schon; und wir wollen doch etwas Tüchtiges, Gutes leisten — und das geht nur, aber nur dann, wenn wir fleißig sind! Und ich wäre ein schlechter Kerl, wenn ich die unendlichen Schätze, die uns die Tonheroen geschenkt haben, nicht mit möglichster Vollendung zum Vortrag brächte: Euer Hoheit zur Freude, den Hörern zur Erbauung und uns selbst zur Befriedigung. Und wenn es uns gelingt, ein — schmerzerstarrtes Herz zu lösen in Tränen der Wehmut, so haben wir das erfüllt, was die Kunst sein soll: Trösterin, Helferin in allen Nöten des Lebens; Kunst und Religion! Oder Kunst als Religion.“ — Gewiß, im April 1914, nach dem Zusammenbruch klingt es anders, indem der Meister rückblickend schreibt; „Mein Zustand war einfach grauenhaft: ich habe solche Schwindelanfälle, eben durch ganz unregelmäßigen Blutdruck hervorgerufen, daß ich kaum richtig über einen Platz gehen konnte, gehabt; dann sah ich Gespenster, fürchtete mich, allein zu schlafen, so daß ich in den Hotels die Nächte durch gelesen habe, weil ich faktisch Angst hatte, ins Bett zu gehen und allein zu schlafen. Die Ärzte haben es mir prophezeit, daß es s o kommen würde —, allein in Befolgung des alten Sprichwortes: ,Nur durch Schaden wird man klug' habe ich all die Ratschläge in den Wind geschlagen. Nun muß ich büßen und kann nur hoffen, daß es mir durch größte Schonung gelingt, die ruinierten Nerven wieder in Ordnung zu kriegen. Und die größte Buße und Strafe, die mir am wehesten tut, ist, daß ich meine Meininger Stelle aufgeben mußte.“

Zwei Jahre später, 1916, kam das rasche Ende. Der Dämon Arbeit hatte den Körper des Meisters restlos erschöpft.

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