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Mein Verleger

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Vor vielen Jahren hatte einer meiner Freunde einen Verleger. Diese an und für sich besondere Tatsache wurde noch stärker hervorgehoben durch die Art, wie mein Freund von „seinem“ Verleger sprach. Denn gleich jenen mondänen Frauen, welche von Schneidern, Coiffeuren, Masseusen nur in besitzanzeigender Form reden, sagte auch mein Freund stets „mein Verleger“, was mir damals ei-nen tiefen Eindruck machte.

Als auch ich einen Verleger hatte, sprach ich von ihm insgeheim, in Erinnerung an jene vergangenen Jahre, als von „meinem“ Verleger, und darunter stellte ich mir etwas Präzises vor: einen älteren, leicht an den Schläfen angegrauten Mann mit gütigen Augen, in welchen sich ein schalkhaftes Lächeln verbarg; er hatte eine warme Stimme, die volles Verständnis bekundete für Dichter und sonstige Gottesnarren. Schrieb ich ihm, so ging ich von diesen Vorstellungen aus, und in seine kurzen, geschäftsnüchternen Antworten legte ich beharrlich hinein, was „mein" Verleger hineingelegt hätte, wenn er mein Verleger gewesen wäre. Es kam der Tag, da ich ihn aufsuchen mußte. Unruhig klopfte mein Herz, denn wer von uns Sterblichen empfindet Behagen, wenn er dem gegenübersteht, den er auf eigene Weise gestaltete, dem Bilde der Seele folgend und nicht dem Ergebnis eines sachlich wägenden Verstandes? Und wer von uns Sterblichen bildet nicht gerne Wesen, die unserem Wunsche gleichen?

Mein ungefügiger Finger drückte auf eine falsche Klingel ob der verwirrenden Frage. Doch es kam gerade jemand aus der Haustüre, und ich schlüpfte hindurch, eilenden Schrittes, um noch rechtzeitig die richtige Wohnungstüre zu finden, hinter welcher mein Verleger mit sympathischem Gesicht und freundlichem Händedruck auf mich wartete. Als man mir öffnete, gab ich voreilig jemandem die Hand. Eine etwas verdutzte Stimme sagte: „Lichterlohe.“ Erschrocken sah ich auf: ich hatte verfrüht gehandelt und stand verlegen und bereits eingeschüchtert vor der obersten Sekretärin meines Seelengebildes. Mit sicheren Schritten, um die ich sie in diesem Augenblick beneidete, führte sie mich in das Büro meines Verlegers. Daß auch seine Vorstellungen von mir der Wirklichkeit nicht entsprachen, konnte ich nach seinem Gesichtsausdruck insofern beurteilen, als er eine etwas lange Zeit kein Wort sagte, sondern mich nur recht merkwürdig betrachtete, und darin tat ich ihm gleich, denn auch mein Blick war zu starr auf ihn gerichtet.

Verzweifelt versuchte ich, „meinen’ Verleger“ vor dem Verleger, welcher vor mir saß, zu retten. Ich lächelte ins Weite, überhörte die Worte, die dieser aussprach und jener nie gesagt haben würde. Erst als er sachliche Erwägungen vom verlegerischen Gesichtspunkt mit nüchterner Stimme vorbrachte, zerschlug sich meine treu behütete Illusion. Unsicher wankte meine Stimme durch die Worte, die ich „meinem Verleger“ nie gesagt, welche mir also neu, ja fremd waren. Und was ich sagte, entsprach auch nicht den Erwartungen des Verlegers, denn ich antwortete noch immer den Scherben meiner Vorstellung, die eine andere Sprache gesprochen hatten und an die ich gewöhnt war. Kurz, es ging alles daneben, und ich merkte es. Groll gegen mich selbst stieg in mir hoch und verlieh meiner Stimme zornige Akzente, mit welchen ich meinen Autorenstandpunkt vertrat. Nie, so dachte ich, hatte ich solches zu tun nötig gehabt bei „meinem Verleger“, denn dieser sprach von den bereits überwiesenen Tantiemen nur so nebenbei, weil es ja bereits geschehen; er erkundigte sich, ob ich für die neue Auflage das Buch noch einmal durchsehen wolle, fragte nach meinen weiteren Arbeiten. Ungeduldig wartete ich auf wenigstens eine dieser Fragen. Aber sie blieb aus…

Wie sprach doch mein eingangs erwähnter Freund von seinem Verleger? Er habe mit ihm eine wichtige Besprechung, eine Abrechnung zu machen, einen Vertrag aufzusetzen, ein Mittagessen einzunehmen. Mein Verleger, das heißt der Verleger, der mein Verleger wurde, ohne „mein Verleger“ zu sein, bot mir nur eine Zigarette an und fand im übrigen, ganz so wie ich, daß Vorstellungen täuschen können.

Diese Erkenntnis mußte uns zum Schlüsse unserer schiefen Unterredung mit Bedauern zum Bewußtsein gekommen sein. Während ich kopfschüttelnd meine naivgeborene Illusion betrachtete, gewillt, aus ihr zu lernen, gingen vermutlich ähnliche Gedanken durch den Kopf meines Verlegers.

Er öffnete mir die Türe und sagte etwas Liebenswürdiges, worauf ich liebenswürdig zu antworten mich bestrebte. Wir gaben einander lächelnd die Hände, und ich verließ das Büro, von meinem Verleger begleitet. An der Wohnungstüre wandte ich mich ihm noch einmal zu, um mich zum zweiten Male zu verabschieden, da er mir bis hierher gefolgt war. Er erwiderte meinen Gruß und begleitete mich bis zur Haustüre, so daß ich zum dritten Male den Abschiedsgruß vorbrachte, den er ebenfalls zum dritten Male erwiderte. Ueberrascht von so viel Liebenswürdigkeit geleitete er mich bis zur vierten Türe, einem Gartenpförtchen, wo wir uns noch einmal grüßten. „Möchten Sie nicht lieber Ihren Regenmantel anziehen, Madame? Es wird regnen …“

Entzückt über diese Zuvorkommenheit traf ich meinen Freund, der mich auf der Straße erwartete. Auf seine Frage, wie es mir ergangen sei bei meinem Verleger, lächelte ich zunächst, um mich zu sammeln. Die zu konkrete Frage, ob ich erreicht hätte, was ich beabsichtigt, machte mich wieder etwas unsicher. Doch im Gedanken an die letzte Freundlichkeit meines Verlegers, welcher mich vor dem Regen schützen wollte, beantwortete ich die Frage mit einem lächelnden Ja …

Die Wirklichkeit einer unschuldigen Illusion anzupassen, nennen wir töricht. Und doch verbirgt sich in dieser Torheit, wenn wir sie belächeln, die Heiterkeit eines mit dem menschlichen Herzen nachsichtigen Gottes.

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