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Musik im halbleeren Raum

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Nachkriegszeiten sind der Kammermusik nicht günstig. Auserlesene Vorführungen sammeln nur zögernd die gering gewordene Zahl ihrer Freunde, das Streichquartett, einst Mittelpunkt häuslichen Musizierens und öffentlichen Interesses, hat sich ins Ausgedingstübchen zurückgezogen und darin hinreichenden Platz für seine Besucher.

Das durchschnittlich Gebotene steht eindeutig über dem Durchschnitt, doch nur unbestrittene Spitzenleistungen bringen es zu mehr als halbgefüllten Sälen. So das Nuovo Quartetto italiano (Rom), das neben einer spanischen Impression Joaquin Turinas (Oracion del Torero) Joseph Haydns Streichquartett op. 61/6 und Beethovens op. 59/3 in reinsten» Klangzauber, ganz auf Melos gestellt, hintönen ließ, seinen schnell errungenen internationalen Ruf in doppeltem Sinne „spielend“ rechtfertigte, seltsamerweise jedoch die landsmännische (italienische) Kammermusik unberücksichtigt ließ, die uns doch, besonders in neueren Kompositionen, zweifellos interessiert hätte. —

So auch das Prager Quartett, in äußerster Disziplin und minutiöser Genauigkeit wie e i n Instrument musizierend und im Gegensatz zu den beweglichen Italienern von klassisch ruhiger Haltung, unter die Oberfläche des Melodischen hinabtauchend zu tieferem Ausdruck und farbiger Vielfalt; neben einem leicht bizarren Alterswerk Leo Janaecks das durch Sme-tanas „Aus meinem Leben“ zum Erlebnis werdende Programm leider mit einem etwas langatmigen Cesar Franck beschwerend. Beide Quartette konnten einer ebenso seriösen als in ihrer freiwilligen Auswahl nicht überwältigend zahlreichen, großenteils aus Kennern und Liebhabern bestehenden Zuhörerschaft für begeisterte Aufnahme danken.

Das durfte auch der Pianist Dr. Kurt Nemetz-Fiedler, der sich an Sdiumanns Kreisleriana versuchte, seine Stilkunst an Reger und Ravel bewies, die Bedeutung seines Programms aber der Wahl von Joseph Lechthalers Klaviersonate verdankt, einem trotz neuer Substanz sozusagen im alten Stil, etwa der Thematik Händeis, komponiertem Werk meisterhafter Konzisität und Plastik, das in seiner scharf profilierten Eigenart eine unpropagandistisch wertvolle Bereicherung der zeitgenössischen Klavierliteratur (und noch wichtiger: der Konzertprogramme) bildet.

Anders getönt war der ebenso ehrliche und spontane Beifall im Solistenkonzert blinder Künstler, das immerhin den Großen Musikvereinssaal halb zu füllen vermochte. Er galt dem Fleiß und der Kunstbegeisterung der Ausführenden, ohne die absolute Leistung auf die Goldwaage zu legen. Diese absolute Leistung muß nichtsdestoweniger (von der des Geigers Leopold Tusdil vielleicht abgesehen) als unzureichend bezeichnet werden und verkleinert gewiß nicht die hingebende Arbeit und die Anerkennung des Geleisteten, darf aber eben, weil wir diese Arbeit ernst nehmen, nicht verschwiegen werden.

Das Publikum zeigt deutlich die Geste der Übersättigung, der Konzertmüdigkeit. Was noch im Vorjahr erjagt wurde, wird heuer gelassen erwartet. Die vielen Musikfestwochen des Sommers zeitigten neben anderer, erfolgreicherer Wirkung auch diese, soweit nicht prosaische Ursachen, etwa die Furcht vor einer Bekanntsdiaft mit Unbekannten auf dem Heimweg oder Sorge um Kohle und Nahrung für den Winter, die Kunstbegeisterung untergraben. Während die Fülle der Veranstaltungen den Musikfreund in die Wahl-Qual-Situation zu bringen sich bemüht, geht dessen tieferes Bedürfnis nach, selteneren, dafür um so sorgfältiger seiner inneren Erbauung '--i»nden Programmen.

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