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Pfarrer mit Bankpraxis
ALLE SCHAFE MEINER HERDE. Von Othmar Frans Lang. Ehrenwirth-Verlag, München, 1964. 245 Seiten.
ALLE SCHAFE MEINER HERDE. Von Othmar Frans Lang. Ehrenwirth-Verlag, München, 1964. 245 Seiten.
Man fragt sich lange Zeit vergebens, was eigentlich den Zauber dieses liebenswürdigen Buches ausmacht. Und erst viel später, lange nachdem man den schmalen Band aus der Hand gelegt hat, wird einem plötzlich klar, daß es eine Begegnung mit Menschen war, die sich während der Lektüre vollzogen hat und die so nachhaltig wirkt, daß die Figuren sozusagen stets von neuem plastisch vor einem auftauchen und man von ihnen schwer loskommt. Man war mit Menschen, ihren ausgeloteten oder nur skizzenhaft berührten Schicksalen konfrontiert, und der Autor ist in wohltuender Art der Versuchung ausgewichen, seine Figuren chargenhaft zu überzeichnen, was zweifellos bei dem gewählten Thema von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist. Geht es doch in dem vorliegenden Werk um eine Pfarrgemeinde von 14.000 Seelen, um die sich ein neuer Pfarrer bemüht, der zwar auf keine Seelenhirten-, aber dafür auf die sehr nützliche Praxis in einer Bank verweisen kann. Mit viel Temperament und gutem Willen stellt er sich den verschiedensten Problemen, kämpft gegen Borniertheit und anmaßende Frömmelei, gegen verstaubte Praktiken seiner Kollegen, die Scheinheiligkeit diverser Männer- und Frauenverbände und gegen das Mißtrauen, das ihm als aufgeschlossenem, modernem Vertreter eines vielfach belächelten oder sogar diffamierten Standes überall entgegenschlägt. Am Ende gelingt es ihm, so etwas wie eine richtige menschliche Gemeinschaft zu konstituieren und diese, sozusagen unter Berücksichtigung der Konzessionen, die das technische Zeitalter jedem einzelnen abringt, eine große Etappe dorthin zu führen, wo sich die allgemeinen Gesetze der
Ethik mit den Geboten eines echten Glaubens treffen.
Vielleicht ist dieser Pfarrer Daun der jeweiligen Situation um eine Spur zu gewachsen, vielleicht ist er manchmal zu sehr erfolgreich praktizierender Psychologe, so daß der Leser stutzig werden könnte. Doch jedesmal, wenn diese Gefahr auftaucht, fängt sie der Autor geschickt ab, und so entsteht das abgerundete BUd eines Mannes, der sein gotterfülltes, einfaches Menschsein ebenso im Kittel eines Arztes oder in der Uniform eines Polizisten praktizieren könnte, der aber die Soutane gewählt hat, weil er überzeugt ist, so von legitimster Seite der lauwarmen Laxheit seiner Mitmenschen in allen Leoens- und Glaubensbereichen erfolgreicher beizukommen. Noch differenzierter ist allerdings die Figur des Mannes durchgehalten, der in sporadischer Wechselbeziehung zur Hauptgestalt steht und dessen Schicksal blitzlichtartig an dieser und jener Stelle des Buches auftaucht, fesselnd und bezwingend. Doch die Figur ver-
schwindet aus dem organischen Gefüge des Buches, ohne die ihr wahrscheinlich anfangs zugedachte Rahmenfunktion vollendet zu haben. Der Eindruck eines geborstenen Rahmenschicksals entsteht, und man hätte sich das anders gewünscht.
Unter der scheinbaren Spritzigkeit der dahinsprudelnden Geschehnisse läßt der Autor keine Zweifel über den Emst seiner Absichten offen. Es geht sozusagen um das praktische Christentum, um eine Art von Glauben, die der landläufigen Auffassung von Ausübung der Christenpflicht fast widerspricht, im Gehalt aber dem Echten, Ursprünglichen näherkommt,
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