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WIEN VERLOR UND GEWANN REINHOLD SCHNEIDER

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Reinhold Schneider ist der Initiator einer wahren „Historie im Symbol“ gegenüber alter „Historie materialer Tatsachen“ und „pragmatischer Historie“ der real-politischen Zusammenhänge und neuerer „feuilletonistischer Historie einer Materialschlacht“. So gut wie alle europäischen Staats- und Volksgebilde hat er in der erstaunlichen Reihe seiner Geschichtswerke und Dichtungen in ihr zentrales Symbol zurückgeführt und so von der letzten Tiefe her gedeutet: das Portugal des Camoes und das Spanien Philipps II. und des Escorial (in seinem Reisetagebuch „Portugal“ und in seinem „Iberischen Erbe“); — das preußisch-hohenzollernsche Nordreich (in seinem „Fichte“, „Hohenzollern“ und „Wegen deutscher Geschichte“); — das grofje Habsburgertum (in seinem „Las Casas vor Karl V.“); — das cäsarische England (in seinem „Inselreich“); — das dunkle Geheimnis Ruhlands (in seiner „Elisabeth Tarakanow“ und „Alexander I.“); endlich das Magisferium Frankreichs (in seinem „Corneille“). Die Mitte seines Werks aber waren die drei Dramen „Die Tarnkappe“, „Innozenz und Franziskus“ und „Der große Verzicht“, die unbewußt zu einer Trilogie des „Heiligen Reich“ zusammenwuchsen und die ihm den Weg auf die grohe Bühne bahnten (von der glanzvollen Aufführung in Essen, der Bundespräsident Heuss beiwohnte, bis zur Annahme für das Burgtheater in Wien). Es ist das ein Mysterium der „Auferstehung im Tod“, unter das der grofje Historiker und Dichter mit diesen Schöpfungen alles Abendländische stellt. Als solcher „Seher des Abendlandes“ stand er zusammen mit Gertrud le Fort, Werner Bergengruen und Carl J. Burck-hart. Und er selber sah meine eigene Theologie als immanente Theologie seiner grofjen Vision (wie sein Vortrag über meine „Humanitas“ es seinerzeit im Südwestfunk aussprach).

Aber eben darum war Wien (wie er in seinem Erinnerungsbuch „Auf dem Balkon“ schreibt) für ihn der letzte und krönende „heimliche Traum“, den zu gestalten er es immer noch nicht wagte, bis er im vorigen Jahr doch endlich nach Wien kam. Hofburg wie Schönbrunn wie Belvedere wie vor allem die Kapuzinergruft zogen ihn (wie seine Briefe an mich es bekannten) unwiderruflich in den Zauber, besser ins Mysterium ihrer „Gloria durch den Tod hindurch“. Die Arbeit an einem Werk über Wien wurde seine letzte Arbeit und eine Arbeit, an der er seine Kräfte (die ohnehin seit Jahrzehnten fast gebrochen waren) verströmte. Für Wien und sein Mysterium ist Reinhold Schneiders allzu früher Tod mit 54 Jahren der Verlust der „Historie seines Symbols“, wie Grillparzers Habsburg-Dramen sie unbewußt bargen. Für Reinhold Schneider selbst ist es der Verlust der letzten Krönung seines Gesamtwerkes, das als eine einzige Vision eines „Symbol Europa“ zur Vision eines „Symbol Wien“ hindrängte.

Doch gerade dies, daß Wien (in diesem Sinn) Reinhold Schneider „verlor“, ist das höhere Geheimnis, daß es ihn ebenso „gewann“. Wenn das „ewige Wien“ die „Gloria durch den Tod hindurch“ ist (gerade durch die Zerstörung seiner Ostmission durch die Alliierten des ersten Weltkrieges), dann kann es als seine Ausdeutung „im Symbol“ nur eine dichterische Historie empfangen, die selber im Zeichen des „Abbruchs im Tod“ steht, durch einen Historiker und Dichter, dessen Werk über Wien in die Weihe des Todes unterging, so aber eben in die Weihe der Auferstehung.

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