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Worte...

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Wie abgegriffene Türklinken, die man schnell niederdrückt, um in irgendein Zimmer zu gelangen, werden Worte gebraucht, aditlos, um einen Eindruck zu erwecken oder sich leichtfertig eine menschliche Begegnung zu erschließen. Man denkt kaum noch daran, daß jedes Wort eine Last trägt, nicht eine lästige, sondern die Last des Sinngehaltes, der in und auf ihm ruht. Der Mißbrauch des Wortes im grellen, glänzenden, aber betrügerischen Schlagwort und seine furchtbare Wirkkraft erwies deutlich die Zwiegesichtigkeit des gesprochenen und geschriebenen Wortes, erfüllt weiterhin mit Zweifel gegen das Wort. In der täglichen menschlichen Rede, in Zeitung und Zeitschrift wird es vielfach als Oberfläche gebraucht, unverbindlich, so, als hätte es zu dem Ding, das es bezeichnet, keine Beziehung. Worte aber sind Pforten, Eingänge in die Hintergründigkeit der Seinsordnung. Darum sind sie treffsicher; das Wort Kuckuck zeichnet durch das Nachmalen einer Wesenseigentümlichkeit des Vogels, des Kuck-kuck-Rufens, ihn selbst ganz aus. Es hebt ihn von den anderen Vögeln als einen bestimmten, der im Wald wohnt und seine Eier in fremde Nester legt, heraus.

Wird nicht jetzt, in der Zeit der Krisis, das heißt: der Entscheidung (sie ist für uns nicht mehr ein „leeres Wort“) eine Neubesinnung auf das Wort dringlich? Verworren ist die Fachsprache der philosophischen Systeme. Der Bedeutungswandel kehrt den Sinn mancher Worte ins Gegenteil um. Der Existentialismus suchte, um einer Lebensphilosophie die Bahn zu brechen, nach neuen Worten und übersah den Gehalt der alten. Jenen Gehalt gilt es aus der Weisheit der alten Meister neu aufzuspüren. Denn wer denkt noch wirklich, wenn er das Wort „wirklich“ gebraucht, an die reine Schöpferkraft, welche die Welt in der Ausformung, in der wir ihr begegnen, schuf? Wirklich heißt eigentlich: von der höchsten Wirklichkeit, von Gott erwirkt und gezeugt.

Sind wir nicht auch gegen das Wort der Dichtung mißtrauisch geworden? Ästhetik und Literatentum der letzten hundert Jahre haben durch Belastung der Worte mit falschem Gefühl, durch Wortverbohrtheit oder Künstelei uns selbst das echte Gedicht weitgehend entfremdet. Die Macht des einfachen, quellklaren Wortes, die den englischen metaphysischen Dichtem des 1 . Jahrhunderts und Angelus Silesius eignete, die bei Shakespeare oder Goldoni, aus einer frühen spanischen Novelle, einem französischen Sonett oder aus Kleists „Michael Kohlhaas“ im sinnganzen Bau und Schwung offenbar wird, ist der Dichtung der Gegenwart fast zur Gänze verlorengegangen. Das Volk hört darum nicht mehr auf das Wort. Und dies ist ein ernstes Zeichen.

Wie aber kann Geschwätzigkeit, schreiendes Gerede und in kleinen Kreisen ängstlich und künstlich genährtes Wortgetue und Getändel durchbrochen werden? Dadurch, daß das Wort wieder, wie ursprünglich, als Brücke von Mensch zu Mensch verstanden wird. Durch seinen kargen und behutsamen Gebrauch kann es wieder die Kraft erlangen, die ihm eigentlich innewohnt. Wenn es täglich dafür verwendet würde, was es — wirklich — meint, könnten durch die Vernichtung der kleinen Irrtümer und Lügen die großen ins Wanken geraten.

Worte, warm wie Holzfeuer, mit dem beißenden Rauch des Witzes, der die Augen zur inneren Besinnung für einen Augenblick verschließt, tun not. Worte, die wie Feuer in den Winterdunst fallen, werden vielleicht die Wahrheit von anderen Seiten als bisher anleuchten und den letzten Sinngehalt des Wortes erschließen helfen: daß es Fleisch geworden ist.

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