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Zusammenhnge

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Als ich vor einiger Zeit in einem Wiener Blatte das Bild zu Gesicht bekam, das die Generale Clark und Eiscnhower zeigt, als sie nach der feierlichen Ernennung zu Ehrendoktoren der Universität Oxford das Festgebäude verlassen, sah ich im Geiste ein anderes Bild aus den Annalen dieser Stadt: Joseph H a y d n auf der Rampe des Shel-donian-Theaters, im Doktormantel, das viereckige Barett auf der Perücke. Er breitet den Mantel aus und sagt schlidit und leise:

„I thank you.“

Diese beiden Bilder, getrennt durch eine Spanne von nahezu hundertfünfzig Jahren, scheinen mir Anfangs- und Endglied einer Kette gesetzmäßiger sinnvoller Zusammenhänge zu sein.

In den Träumen meiner Jugend schwebte ' mir England vor als weiße Insel. Die Sehnsucht nach ihr durfte ich im Mai 1914 zur Wirklichkeit werden lassen. Meine Eltern bewilligten mir einen auf zwei Jahre befristeten Aufenthalt als unterrichtender Zögling in einer boarding-school in Bristol. Nach Schulschluß, als der Krieg bereits drohend am Horizont stand, fand ich, nach bangen Stunden, in den ersten Tagen des' August 1914, trotz meiner voraussichtlich bald eintretenden Zugehörigkeit zu einem feindlichen Staat, Aufnahme in einem Pfarrhof der Church of England in Derbyshire. Ich wurde nicht wie die governess behandelt, die man engagiert hatte, damit sie den Kindern fremde Sprachen beibringe: Ich war anfangs Gast, später viertes Kind in diesem Haus, das regiert wurde von einem gütigen, wohlwollenden Vater, in das eine sanfte Frau alles Licht hineintrug, das von einer Mutter ausstrahlen kann. Nie vorher, niemals nachher in meinem Leben war man mir mit solcher Zartheit begegnet, wie an jenem 13. August, der den Kriegszustand mit Österreich besiegelte.

Es waren fast nur schöne und das aufgewühlte Gemüt beruhigende Erlebnisse. Das schönste aber war, als mein Pfarrer in seiner Kirche das erste Glied schmiedete jener sich zu seltsamer Gesetzmäßigkeit fügenden Kette.

Nidit so sehr aus innerem Wunsch — ich bin Katholikin —, vielmehr aus Höflichkeit und Ausdruck des. Dankes, brachte ich die Kinder täglich zu den Friedensandachten ihres Vaters. Am 18. August, dem Geburtstag Franz Josephs, da ich neben meinen kleinen englischen Freunden im Pult kniend, das Gesicht in den Händen vergraben, die Gedanken beim Festgottesdienst zu Sankt Stephan, mit ganzer Seele daheim weilte, präludierte leise, leise die Orgel, um dann jählings brausend überzugehen auf die Melodie unserer Volkshymne. „Glorious things of Thee are spoken ...“ sangen die Engländer. Doch was bedeutete für mich der fremde Text! Ein englischer Pfarrer und sein Kirchensprengel huldigten hier meiner Heimat. Unbewußt tat es die Gemeinde, mit Absicht, die Größe seiner Geste nicht einmal ahnend, tat es ihr Oberhaupt. Außer mir hätte sich wohl niemand erhoben, wäre bei den englischen Gottesdiensten nicht die schöne Sitte, die Psalm e und Hymnen stehend zu singen. So standen alle, meine „Feinde“ und ich, und_,mir war, als sängen sie mit mir das Lied meiner Heimat. Meine Augen wurden schwer von Tränen. Als die englische Nationalhymne folgte, sang ich mit ihnen das Lied der ihren, voll Dank und Andacht.

England, Joseph Haydn, Österreich und das winzige Ich.

In London erhielt Haydn die erste, unbewußte Inspiration zu seiner Volkshymne, nicht im thematischen Sinn, im patriotischen. Beim Händel-Commemoration, hörte er zum erstenmal das „God save the King“.

„Was war der Choral, als alle aufstanden?“ fragte er Dr. Burney, seinen Musikcicerone, beim Verlassen der Westminster-Abbey.

„Das Lied, das uns zusammenhält„ unser National Anthem.“

„Das Lied, das uns zusammenhält?“ wiederholt Haydn sinnend und sein Blick wird hell und weit.

Er trägt die Befruchtung mit sich, verschlossen wie ih einem goldenen Schrein. Aber im Kriegsjahr 1797 setzte er im Hoföbstlerischen Haus am Mehlmarkt in Wien die österreichische Volkshymne.

120 Jahre waren vorübergerauscht: Die Monarchie brach zusammen, aber 'Österreich blieb.

Auf Waffengeklirr und Zusammenbruch folgten politisches Gekläff und politisches Verbrechen, folgte die Orgie entfesselter Furien des Krieges.

Mitten in diesem bacchantischen Fest, das die Erde aufwühlte, Städte wegwischte, Völker auslöschte, saß ich in der Musikabteilung der Nationalbibliothek im Gebäude der Albertina und forschte den Ursprüngen unserer Volkshymne nach. Gedrängt von einer Aufgabe, die ich mir gestellt hatte. Ich saß dann, umtobt von infernalischem Getöse, auf den Strebebalken der Dachkammer im großen Michaeierhause, wo Haydn seine erste Messe komponiert hatte und suchte die Schwingungen zurückzurufen, die ihn beseelt hatten. Stundenlang kauerte ich auf den Altarstufen der Barockaltäre zu Sankt Stephan, fing das Licht auf durch das bunte Glaswerk, sah erschauernd die Plastiken.in polychromiertem Kleide und lauschte, während Bilder, Mosaikstein zu Mosaikstein sich fügten zu einer Schau: Joseph Haydn, sein Leben, seinem Adagio für Orgel und Violine.

Als ich diesen Sommer, in Erinnerung an meine englischen Freunde, dem ersten Gottesdienst in der Gesandtschaftskirche beiwohnte, war der erste Hymnus, der durch das Kirchenschiff rauschte, die Hymne Nummer 545: „Glorious things of Thee are spoken... music by Dr. Joseph Haydn.“

Ein anderer Text aber erstand in meinem Herzen:

„Österreich, du tötgeglaubtes, du wirst wieder auferstehn! Österreich, du uns geraubtes, niemals wirst du untergehn Dann erklang der National Ari'them, das Lied, das Reiche zusammenhält. Ich sang es mit, voll Dank und Andacht,

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