Abseits der Teenager-Komödien

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Anspruchsvolle Filme für Jugendliche abseits der Hollywood-Stangenware: Erstmals fand in Wien ein Jugendfilmfestival statt.

Schwarze Leinwand, Knabenstimmen, man hört eine Schaufel, kurz erleuchtet ein Streichholz die Szenerie. "We need more light", sagt einer, und prompt wird die Flutlichtanlage des Fußballstadions Newcastle aufgedreht. Zwei Burschen eilen mit einem Rasenstück davon: Sie haben einen der Elfmeterpunkte "ihres" Fußballgrüns geklaut.

So beginnt "Purely Belter", der Siegerfilm des ersten Wiener Jugendfilmfestivals, und gleich wird klar, worum es in diesem Film geht: "They like soccer", folgert Alexander Skarsgård, Hauptdarsteller eines der anderen Wettbewerbsfilme, der "Purely Belter" nicht gesehen hat und sich den Anfang schildern lässt, und damit hat er natürlich recht. Aber nicht nur das inhaltliche Kernstück des britischen Films wird bereits in dieser ersten Szene vorgegeben, auch der gelungene formale Stil: Humorvoll und originell, manchmal traurig und auf dem Hintergrund eines sozialkritischen Realismus wird die Geschichte zweier Knaben aus der Unterschicht erzählt, die alles tun, um Geld für Fußball-Saisonkarten aufzutreiben.

Jugendliche als Kinopublikum - diese Zielgruppe wird von Hollywood höchstens als Cashcow für Produktionen à la "American Pie" ernstgenommen, die mit oft derbem Humor und wenig geistreichem Inhalt für Unterhaltung sorgen wollen. Um so erfreulicher ist es, dass in Wien nun erstmals im Rahmen eines Festivals eine geballte Ladung ausgezeichneter, für Jugendliche interessanter Filme zu sehen waren.

"Hauptmotivation, ein Jugendfilmfestival zu veranstalten, war die Tatsache, dass es einfach herausragende internationale Produktionen gibt, die sich mit jugendrelevanten Themen befassen und oft mit jugendlichen Schauspielern und Schauspielerinnen besetzt sind", erzählt Elisabeth Lichtkoppler, Organisatorin des Festivals, "Filme für junge Menschen, abseits von Hollywoods Teeniefilmen, nicht abgehoben, sondern realitätsnah. Verpackt in ein Festival wollen wir diesen Filmen eine Chance geben, zu ihrem Publikum zu finden."

Die Auswahl der Filme ist gelungen; im Laufe des Festivals zeichneten sich zwei einander teilweise überschneidende inhaltliche Schwerpunkte ab: Jugendliche auf der Suche nach ihrer Identität und Jugendliche, die ihre Träume verwirklichen wollen.

Der formal eindrucksvolle Eröffnungsfilm "Girlfight" war diesbezüglich schon richtungsweisend: Die etwa 17-jährige Diana findet ihre Erfüllung im Boxen - das hier aus einer ungewohnten Perspektive betrachtet wird, es darf zum Beispiel weh tun, wenn einem ein blaues Auge geschlagen wird - und setzt sich gegen entsprechende Widerstände in ihrem Umfeld durch. Mit letzterem hat auch Nazli zu kämpfen, ein Mädchen persischer Herkunft, dessen schwierige Identitätssuche in dem wunderschönen schwedischen Film "Wings of Glass" mit einer zarten Liebesgeschichte verwoben und in unglaublich kraftvollen Bildern erzählt wird.

In "Oi! Warning" - der Film ist zur Zeit auch im regulären Kinobetrieb zu sehen - wird Janosch mehr oder weniger zufällig zum Skinhead; als er sich mit dem Punk Zottel anfreundet, endet das in einem Desaster. Der Film blickt in ästhetischen Schwarz-Weiß-Bildern bisweilen sehr genau auf Gewalt, die Skinheads anderen Menschen antun, wobei er diese Gewalt keineswegs ästhetisiert: "Oi! Warning" macht betroffen, ohne zu verurteilen. Nach einem ganz anderen formalen Grundprinzip orientiert sich "Garage Olimpo". Hier wird erzählt, wie Maria, die sich im Argentinien zur Zeit der Militärdiktatur im Widerstand engagiert, vom Militär gefasst und gefoltert wird und nach einer längeren Gefangenschaft im dreckigen Keller einer Garage umgebracht wird. Bei der Anwendung von Gewalt schaut die Kamera weg und überlässt die Details der Phantasie der Zuseher; ins Bild gerückt werden lediglich die Folgen der brutalen Foltermethoden.

Die Entscheidung, welcher der fünf Wettbewerbsfilme zum Sieger gekürt werden sollte, ist der Jury nicht leicht gefallen: die sechs Mädchen und Burschen, die sich vor Beginn des Festivals unter Anleitung von Klaudia Kremser in mehreren Workshops auf ihre Aufgabe vorbereitet haben, haben stundenlang diskutiert. In der Entscheidungsbegründung der Jury heißt es: "Wichtig war uns auch, ob ein Film das ,gewisse Etwas' hat. Dies trifft für uns besonders auf ,Purely Belter' mit seinem typisch englischen Witz und Humor zu."

Davon, dass auch das jugendliche Publikum, das in Scharen ins cinemagic-Kino geströmt ist, das Angebot genossen hat, zeugen nicht nur die Einträge ins Gästebuch, sondern vor allem auch das rege Interesse am Diskussionsangebot nach den Filmen, wo lange und intensiv über das eben Gesehene gesprochen wurde. Neben diesen inhaltlich anspruchsvollen Gesprächen gab es einfach auch Stars "zum Anfassen". Der eingangs erwähnte Alexander Skarsgård und Sara Sommerfeld, Hauptdarsteller von "Wings of Glass", standen nach der Vorführung für Fragen und vor allem für Autogramme zur Verfügung.

Vor allem dank dieser Publikumsgespräche ist innerhalb kurzer Zeit Festivalatmosphäre entstanden, die man hoffentlich auch in Zukunft wird schnuppern dürfen: Es ist dem Jugendfilmfestival jedenfalls zu wünschen, dass es im Laufe der nächsten Jahre zu einer Institution werden wird, zu einem alljährlichen Fixpunkt für jugendliche Cineasten und auch für ältere Kinoliebhaber; ein Großteil des diesjährigen Publikums wird das Angebot jedenfalls in Zukunft nicht mehr missen wollen.

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