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Münchner „Musica viva“

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Wenn wir das Generalprogramm von Karl Amadeus Hartmanns „Musica Viva“ für das Konzertjahr 1961/62 durchblättern, finden wir darin beispielsweise Janacek: „Aus einem Totenhaus“ nach Dostojewsky, Milhaud: „Agamemnon“, Strawinsky: „Psalmensymphonie“, Hartmann: „7. Symphonie für großes Orchester“, Satie: „Parade“, Britten: „Purcell-Variationen“, Blacher: „Music for Cleveland“, Prokofieff: „Suite Scythe“, Krenek: „Medea“, oder Debussy: „L'Enfant prodigue“. Sagt das nicht alles? War das nicht längst schon da, gekennzeichnet und prämiiert mit dem Stempel unumstrittener Qualität und Meisterschaft, mit Glanz und Gloria, Pauken und Trompeten eingegangen in das wissenschaftlich sanktionierte Reich der Musikgeschichte? Es gibt in diesem Programm überhaupt nur drei echte, kaum in Erscheinung tretende Novitäten (Kompositionen von Markevitsch, Nilsson und Searle sollen hier des Maßstabes wegen nicht genannt sein): Ein „Allelujah II per cinque gruppi di strumenti“ von Luciano Berio, „Ha venido-Canciones para Silvia“ von Luigi Nono und „Episoden für Streicher und Schlagzeug“ von Kazimierz Se-rocki. Das ist ein mageres Ergebnis, nicht für Karl Amadeus Hartmann, diesen unermüdlichen Bahnbrecher zeitgenössischer Musicae technäe, sondern einzig und allein für die moderne Musik.

Daß sich Hartmann trotz dieser Lage der Dinge immer wieder Vorbildliches einfallen läßt, beweist das jüngste Sonderkonzert seiner „Musica Viva“, das von keinem Geringeren als Darius Milhaud persönlich geleitet wurde. Um es sogleich vorwegzunehmen, der große Franzose — ein Klassiker der französischen Moderne und einstmals Avantgardist neben Satie, Stfawinsky, Poulenc und Honegger — wurde in München herzlichst gefeiert. Man vergaß den Rollstuhl, in dem Milhaud aufs Podium geschoben wurde und bewunderte den Sieg des Geistes über ein körperiiches Gebrechen. Milhaud hatte vier Werke unterschiedlichen Charakters zusammengestellt, und ich muß gestehen, daß mich das erste, „La creation du monde“, am stärksten zu fesseln vermochte. Es ist die Auseinandersetzung des großen Pro-venzalen mit dem amerikanischen Jazz, die hier ein Werk von elementarer Faszination entstehen ließ. Es folgte „L'h o m m e et son desir“, ein Stück mit etwas gestrigen und billigen =Fi£ej£ten: {Windmühle, Peitsche'üsw!),r wie überhaupt bei Milhaud 'ein-1 w^flfg^frkus un4 EJjmmerieijy*>*nd mitschwingt. Als bedeutender Melodiker erwies er sich dann in der „2. Suite symphonique“ und als Musikdramatiker stellte er sich in seinem „A g a m e m-n o n“ vor, dem Teilstück aus einem Zyklus nach Paul Claudel, mit dem ihn — ähnlich Cocteau — eine innige Freundschaft verband. Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks stellten dem umjubelten Musiker einen vollkommenen Klangapparat zur Realisierung seiner Wünsche, nur Christi Goltz, welche die Klytämnestra sang, schien indisponiert.

Hartmanns Münchner „Musica Viva“ ist lebendig wie am Tage ihrer Gründung, hoffen wir, daß auch die Musica viva lebendig bleibt!

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