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A. S. Gribojedov

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Alexander Sergejewitsch Gribojedov (1795—1829) hat ein einziges abgeschlossenes Werk, die Komödie „Verstand schafft Leiden“ geschaffen. Aber mit dieser Komödie hohen Stils, deren Aufführung vom Burgtheater vorbereitet wird, gehört Gribojedov zu den Bahnbrechern der dramatischen Kunst. Der große Slawist Professor Artur Luther hat einmal davon gesprochen, daß die deutsche Bühne, die schon so viele minderwertige russische Dramen aufgeführt hat, sich auch einmal an dieser Dichtung versuchen sollte. Es ist eine große und lohnende Aufgabe, die sich das Burgtheater als die erste Bühne des deutschen Sprachgebietes mit der Aufnahme des russischen „Misanthropen“ in seinen Spielplan gestellt hat, dieses Kunstwerkes, in dem zum erstenmal in der russischen Literatur das Problem der „Intelligenz“ als einer seelisch heimatlos gewordenen gesellschaftlichen Schicht in seiner ganzen Tiefe aufgerollt wird.

Es ist das Moskau der zwanziger Jahre, also unmittelbar nach dem Befreiungskrieg gegen Napoleon, in das wir in „Verstand schafft Leiden“ versetzt werden. Die einzelnen Typen der russischen Gesellschaft werden in einer köstlichen Satire gezeichnet und Gribojedov zeigt sich als ein Meister der Massenpsychologie, wenn er im dritten Akt seinen Helden Tschatzkij, der in wachsender Erbitterung einen doppelten Kampf, um seine Liebe und um sein* politischen und sozialen Ideen, führt, durch den Klatsch in den Ruf der Verrücktheit geraten läßt. In seinem Kampf gegen die staatlich-bürokratische Lebensauffassung der Gesellschaft wächst Tschatzkij zu einer tragischen Figur empor, zu einem russischen Gegenstück von Molieres „Menschenfeind“, dessen Schicksal erschüttert.

Gribojedov, der Diplomat war und als russischer Gesandter in Teheran bei einem Aufstande vom Pöbel ermordet wurde, stand in nahen Beziehungen zu den Dekabristen. Nur seine Abwesenheit von Petersburg und sein geschicktes Verhalten beim Verhör bewahrten ihn vor der Verbannung, in die ein Großteil der revolutionären Adeligen nach dem mißglückten Dezemberputsch beim Regierungsantritt des Zaren Nikolai I. gehen mußte. Außer seinem Meisterwerk gegen die Stützen der Moskauer Gesellschaft hat er nur das Bruchstück einer Tragödie „Eine Nacht in Georgien“ hinterlassen. Und von einem dramatischen Plan wissen wir, der seinen Geist einige Zeit gefangennahm; er dachte an eine Tragödie, deren Hauptgestalt ein Leibeigener gewesen wäre, der 1812 eine Heldentat vollführt hatte, aber nur Undank und Gleichgültigkeit ernten und, in sein Heimatdorf unter die Ruten seines Herrn zurückgekehrt, aus Verzweiflung Selbstmord verüben sollte. Aber alle Pläne des einzigen ebenbürtigen Rivalen Puschkins blieben unausgeführt. Es war das Schicksal Gribojedovs, als der Verfasser eines einzigen,aber gewaltigen Kunstwerkes in die Geschichte der russischen und der Weltliteratur einzugehen.

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