Bühnenbeschimpfung am Schauspielhaus: Der feine Unterschied
Mit der österreichischen Erstaufführung des Stücks „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr)“ eröffnet die neue Leitung des Schauspielhauses Wien ihre erste Spielzeit.
Mit der österreichischen Erstaufführung des Stücks „Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr)“ eröffnet die neue Leitung des Schauspielhauses Wien ihre erste Spielzeit.
Anfangen sei leicht, beharren eine Kunst, sagt ein Sprichwort. Nun, auch ersteres ist einfacher gesagt als getan, besonders dann, wenn ein Theater, wie jetzt das Schauspielhaus Wien, in eine neue Ära startet. Denn liegt einem solchen Anfang nicht die große Erwartung inne, dass er gleichsam programmatisch für das steht, was dann der schweren Kunst der unentwegten Bestätigung harrt?
Im vorliegenden Fall hat das neu bestellte künstlerische Leitungsquartett des Schauspielhauses in Wien mit Marie Bues, Martina Grohmann, Tobias Herzberg und Mazlum Nergiz – wie es sich gehört – die Erwartungshaltungen des geneigten Publikums zusätzlich befeuert. Zum einen deutet die Wahl des Eröffnungsstückes schon im Titel an, was die neue Leitung selbst über ihr Theater sagt, nämlich dass es zum „Äußersten bereit“ sei, und zum anderen wurde mit dem bekundeten Interesse am Partikularen, als dem Besonderen, Abseitigen, – einmal mehr – nicht weniger als die Erneuerung des Theaters ausgerufen. So manch geübter Theatergänger mag das mit guten Wünschen quittieren oder aber vor allem mit einer Portion Gelassenheit zur Kenntnis nehmen. Denn Neuerungen, ungeachtet dessen, von welch berufenem Munde sie angekündigt werden, lassen seit Jahren auf sich warten.
Gemeinsam in eine neue Zeit
Was nun da im Haus in der Porzellangasse vergangenen Freitag mit der Inszenierung der „Wiener Fassung“ von „Bühnenbeschimpfung“ der 1978 geborenen israelischen Autorin Sivan Ben Yishai, das in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zum Stück des Jahres 2023 auserkoren worden ist, seinen Anfang genommen hat, ist auch nach der Eröffnungsinszenierung nicht eben leicht zu erahnen. Einfacher ist es zu sagen, wer da diesen Anfang macht. Es sind Lydia Lehmann, Kaspar Locher, Sophia Löffler, Ursula Reiter, Tamara Semzov und Maximilian Thienen, die zusammen einen Teil des neuen zehnköpfigen Ensembles bilden. Das Regiekollektiv, bestehend aus Marie Bues, Tobias Herzberg und dem Gast Niko Eleftheriadis, formiert sie in Arbeiteroveralls gekleidet, auf denen einzelne Buchstaben des neuen Logos des Schauspiel^haus zu erkennen sind, auf der fast leeren Bühne zum Chor. Über ihnen schwebt drohend ein mächtiger Kubus, im Hintergrund ist eine aus Papier gefertigte Granitmauer zu sehen, über die Wasser rieselt.
Eng beisammen intonieren die Körper hier „als Institution“ ihre Nabelschau, reflektieren auf die Institution, die sie tragenden Arbeits- und Produktionsbedingungen, tyrannische Direktoren, mangelnde Mitsprache, schlechte Bezahlung, das prekäre Verhältnis von Stücktext und persönlicher Meinung, oder die politisch unkorrekte Platzverschwendung, die Theater angesichts Asyl suchender Menschen heute bedeutet etc. Nur manchmal erreicht die Suada tatsächlich die Schärfe einer Selbstbeschimpfung. Es gilt bei der Frage, liebe ich das Theater „nicht mehr oder liebe ich es zu sehr“ im Zweifel immer letzteres.
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