6600839-1953_37_10.jpg
Digital In Arbeit

Der König und die Schauspieler

Werbung
Werbung
Werbung

Die neue Saison des Wiener Theaters wird vom Volkstheater eröffnet mit einer Festaufführung zum Beginn der Arbeiterkulturwoche im Rahmen des Gesamtösterreichischen Gewerkschaftstreffens. Leon Epp hat, mutig, ein Drama der Weltliteratur gewählt, das an die Schauspieler die allerhöchsten Anforderungen stellt: „König Lear“ von Shakespeare Die Absicht ist allen Lobes wert: gerade ein Theater des Volkes muß es heute wagen, wenn es seine Arbeit als Kulturarbeit ernst nimmt, ernste, ja schwerste Schauspiele einem Publikum vorzustellen, das oft wenig ■mehr weiß von den großen Schätzen des alteuropäischen Theaters. Der „König Lear“, der im 19. Jahrhundert oft mißverstanden wurde als eine Zerreißprobe für extravagante und außerordentliche Bühnenbegabungen, kann heute in einer Tiefendimension eingesehen werden, wie vielleicht nie zuvor: Verblendung des allzulang sich jeder Kritik und Selbstkontrolle entziehenden Machtherren; der Machtkampf seiner Nachfolger, mit allen Schrecknissen, die gerade die Schwächlinge und Haltlosen entbinden; der Kampf aller gegen alle, der aus einem Unrecht erwächst. Dazu: die Doppeltragödie des geschändeten Königs und des geschändeten Vaters (ein Hauptthema der inneren Geschichte Europas in den letzten Jahrhunderten). Das alles zauberhaft überlichtet durch Shakespeares Wissen um den seelischen Untergrund des Menschen, um die Weisheit des „Narren“, um das Leid des Unterdrückten, um das Weh des Verdemütigten, um die Not des Entrechteten. Das Lied des Narren, die Monologe des im Wahnsinn vergleitenden Königs rechtfertigen allein einerseits eine Aufführung, eine „Vorstellung“, die dem trägen Sinn des Heutigen eben vorstellt, was Menschsein sein kann. Leider wird man der bemühten Aufführung (Regie: Leon Epp) nicht recht froh. Es ist nicht das vielkritisierte Bühnenbild von Gustav Manker, das zu bejahen ist, weil es, mit seinen Festungsrundtürmen, deutlich macht, was unserem Bewußtsein zumeist nicht gegenwärtig ist: hier stehen große Herren widereinander, Ge-

schlechter, die von Burg zu Burg, von Adelssitz zu Adelssitz die Lande beherrschen, Igel mit vielen Stacheln, Zinnen und Brustwehren widereinander (Deutschland besaß einst 10.000 Burgen...). Es ist auch nicht die Verhaltenheit der bösen Töchter und das nicht ganz hinreichende Spiel einzelner kleinerer Rollen (prächtig aber Joseph Hendrichs und Otto Woegerer). Claus Clausen als König Lear beginnt rasant komödiantisch, in höchster Tonhöhe, und kann dann, naturgemäß, nur selten in die Nähe jener Innerlichkeit und Tiefe (und vor allem: Stille!) gelangen, die diese Gestalt benötigt, um nicht aljj, Schreckgespenst abzustoßen, sondern als Leidensmann strahlend, raumbildend wirken zu können. Sekundenweise huscht etwas von dieser ersehnten Innerlichkeit durch seine Worte und erlischt. Sichtlich haben hier die Paradefassungen dieser „Rolle“ im 19. Jahrhundert den Blick getrübt für das, was diese Persönlichkeit, König Lear, heute an Darstellungskunst und Ueber-legung fordert: ein solches Uebermaß des Leides kann uns nur mehr durch ein sehr besonnenes und durchdachtes „Unterspielen“ glaubhaft präsentiert werden, nicht mehr durch dieses von spätbarocken Bühnenekstasen herstammende Ueberspielen.

Auch die Josef stadt beginnt gewissermaßen „klassisch“: mit einem französischen Lustspiel von 1797 von Louis Benoit Picard, das Schiller überarbeitet hat. „Der Parasit“ behandelt das Schicksal eines Schurken, der in einem hohen Ministerium an Rang und Ehren aufsteigt, bis er zu Fall kommt, da es immer noch, in solchen Komödien, ehrliche und kluge Männer als Gegenspieler gibt. Also weder eine Regierungstragödie noch ein Beamtendrama, sondern eben: ein altes wohlgezimmertes Lustspiel, das auch in Wien bereits einmal, 1841, aufgeführt wurde. Wobei man es hätte belassen sollen. Die neue junge Garde der Josefstadt, Helmut Qualtinger, Heribert Aichinger und Franz Messner (letzterer mit der beachtlichsten Leistung) legt sich gehörig ins Zeug; bisweilen mit Mitteln, die einer Studentenbühne ziemen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung