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Akute Securomanie

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Christoph S. liebte intensiv: das Leben ganz allgemein, seine beständig wachsende Familie recht besonders. Auch das Risiko war ihm immer einen Flirt wert, und zur Sicherheit hatte er eine ganz enge, ja eine durchaus intime Beziehung. So konnte es nicht anders kommen, als daß Christoph zur leichten Beute von gewandten Versicherungsmaklern gleich welcher Sparten, Spielarten und Risikobereiche wurde.

Weil aber Christoph S. schon von klein auf dazu neigte — was blieb ihm als zweitgeborenem Stiefsohn eines ehemals altkatho-

lischen Sektenbischofs in einer ländlichen Kleinstadt denn schon wirklich anderes übrig? —, wurde er nicht bloß zum Opfer aggressiven Versicherungsmarketings, nein, er entwickelte sich — Police für Police — zum Securomanen.

Securomanie, so die neueste Ausgabe des Dr. Polewayschen Standardwerkes: „Die Krankheiten der reifen Hausfrau“, ist die akute Form der neuro-vegetabil bedingten Signatomanie, die wiederum, wie jeder Illustriertenleser weiß, nichts anderes ist, als der krankhafte Hang, unter alle möglichen Schriftstücke die eigene Unterschrift zu setzen. Vorausgesetzt, dort findet sich zwischen Groß- und Kleingedrucktem ausreichend viel Zwischenraum sowie eine punktierte, wenigstens aber eine gestrichelte Linie.

Christoph S. lebte seine, nur in frühester Jugend elternbedingt sublimierte Securomanie voll aus. Die Versicherungswirtschaft und ihre geschulten Berater kamen seiner Neigung entgegen. Sie boten ihm Versicherungsverträge, präsentierten Zwischenräume und feine Linien, und er unterschrieb.

Das war anfangs ja nicht sonderlich schwer, später freilich tat Erfindungsreichtum not. Schon im zarten Alter von fünfzehn ging er die erste Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ein. Er schloß sie, mangels einer eigenen Kraftfahrmöglichkeit, über einen recht entfernt verwandten Strohmann ab.

Kaum dem Gymnasium entwachsen und selbstverständlich gegen alle möglichen Risiken einer bevorstehenden Hausstandsgründung und deren zwangsläufigen Folgen versichert, gelang es ihm, sich bei einer ausländischen Versicherung gegen das nur mit äußerstem Unwillen aufgenommene Jurastudium zu versichern. Die Prämie bekam er nach dem dritten erfolglosen Versuch, die erste Seminarvorprüfung zu bestehen, auch tatsächlich ausbezahlt, allerdings in exotischer Währung.

Die nicht unbeträchtliche Versicherungssumme verwendete er freilich nicht zur Finanzierung des von ihm geliebten und daher pfleglich, wenn auch langzeitig betriebenen Studiums der Sozio- psychologie. Christoph konnte der Versicherungsversuchung nicht widerstehen. Sein Leben,

sowohl das Erleben als auch das Ableben, war allerdings schon mehrfach und ausreichend versichert alle denkbaren Krankheitsfälle von Mumps bis Podagra hatten — allerdings auf seinen ausdrücklichen Wunsch — schon seine Eltern mitversichert. Solchermaßen hatte er sich, durchaus vorausschauend, bereits beizeiten sein Erbteil gesichert.

Was blieb also noch zu versichern übrig? Glücklicherweise neigen risikofreudige Zeitgenossen im Alltag häufig zur Inanspruchnahme der Dienstleistungen der bürgerlichen Rechtsprechung. Solchermaßen wurde auch für Christoph S. eine Rechtsschutzversicherung erfolgreich und flugs abgeschlossen. ‘

Als nichts mehr zu versichern übrig blieb, entschloß sich Christoph S. zum Äußersten: er gründete eine Familie. Da gab es dann natürlich wiederum allerlei zu riskieren und zu versichern: für und gegen die Risikos, die mit Wohnungssuche und Haus-

Standsgründung Zusammenhängen, für und gegen mäßiges wie übermäßiges Familienwachstum.

Christoph S.’ Securomanie sprach sich in Fachkreisen herum, und alsbald belagerten adrette Damen und Herren mit eleganten Aktenkoffern und Prospektmappen’Christoph S.’ Wohnungstüre. Sie suchten tagsüber Kontakt mit den Kindern, den Haustieren, ja selbst der Hausfrau, und’gleich nach Dienstschluß besuchten sie den Hausherren selbst.

Und Christoph S. nahm sich Zeit. Er wollte alles Versicherbare versichern. Nur eines Tages war es dann soweit: man fand nichts mehr, was versichert hätte werden können. Er hatte sich in einer letzten Anstrengung gegen weiteren Nachwuchs versichert, gegen politische Wenden und auch gegen deren Nichteintreten, gegen Wiederauftreten der Eiszeit, ja sogar gegen eine allgemeine Arbeitszeitverlängerung.

Christoph S. wurde zum Prüfstein für junge Versicherungsmakler auf ihrem Weg zur Bezirksvertretung. Wer konnte ihm noch eine Versicherung anbieten, die er nicht schon hatte?

Abgeschlossen hätte er sofort. Monatelang mühten sich die Nadelgestreiften ohne Erfolg, dann hatte ich endlich die zündende, die letztlich alles entscheidende und beendende Idee. Ich verkaufte sie einer ausländischen Versicherungsgesellschaft — man munkelt, daß sie sich mit Petrodollars fett gepolstert hat — zum Höchstpreis.

Der ist in der Zwischenzeit auf mein Schweizer Nummernkonto überwiesen worden, daher kann ich meine Idee verraten: Ich empfahl Christoph S., sich schließlich und endlich absolut zu versichern — gegen den Abschluß auch nur einer einzigen weiteren Versicherung.

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