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Alles steht

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Wenn die Edith Klinger in ihrer Sendung die Tierquäler bittet, ihre Hunde doch nicht an der Kette zu halten, könnte sie ebenso gut eine Schweigeminute einlegen oder Marschmusik senden.

Denn die Kettenhundebesitzer schauen ganz bestimmt nicht zu.

Wenn der Adam Kugerl im Wirtshaus Zur Goldenen Wurst eine Parteirede hält, applaudieren die vierzehn Besucher, die das Parteiprogramm längst kennen, freundlieh und zustimmend. Die, die der Kugerischen Weltsicht unkundig sind, sitzen mittlerweile vor dem Bildschirm und freuen sich über das zweite Tor des FC Lauhofen.

Wenn die Beatrice Weißler zum Kampf gegen die bösen Männer bläst, servieren Abermillionen Frauen ihren Paschas den zweiten Gang des Nachtmahls.

Dieses mag gut sein, jenes ist schlecht. Auf jeden Fall widerlegt's die alten Griechen und ihre Pseu-doweisheit, daß „alles fließt“.

Das Gegenteil ist wahr. Alles steht.

Starr sind und unveränderlich die Fronten. Die Welt besteht aus Cliquen, Insidern und Unverrückbaren. Was nicht heißt, daß sie nicht längst verrückt sind.

Die Klinger, der Kugerl und die Weißler sind Illusionisten, deren Hang zur Veränderung des Globus bewundernswert, aber erfolglos bleiben muß. Und deshalb fürchte ich auch, daß sich bei den Elektro-installationen nichts ändern wird.

Unlängst ging bei mir zu Hause ein simpler Lichtschalter kaputt. Die Zimmerbeleuchtung blieb dunkel, der Raum unerhellt, weil der Knipser irgendwo in seinem Inneren nicht mehr funktionierte. Frohgemut und zuversichtlich machte ich mich ans Reparierwerk. Ich habe meine Physikstunden noch gut im Kopf, weiß Bescheid über den Strom und wie man ihn handhabt. Das Ausbauen des Schalters ging noch halbwegs vonstatten, wiewohl mir auch da schon beim Herunternehmen der Abdeckung Zweifel über die Sinnhaf tigkeit der Konstruktion kamen. Dann aber - soll ich's beschreiben, welch ein Anblick von Schraubenanhäufung, Drähtegewirr und Kreuz- und Querverbindungen aus Aluminium und Kunststein sich mir bot?

Ich lasse es. Und ich ließ die Reparatur. Die simple Annahme, Strom ein sei Verbindung, Strom aus sei Unterbrechung, und der Wippschalter bewerkstellige auf einfache Weise beides, mag ja im

Prinzip auch für die Schaltergebilde unserer Zeit gelten. Jedoch das Wie dieser vertrackten Gebäude läßt den Unerfahrenen scheitern, ich rief den Elektriker.

Und darin liegt sicherlich der Sinn des Ganzen. Fachleute und selbsternannte Experten sorgen dafür, daß man ihre (Strom-)Kreise nicht stören kann. Sie machen sich unersetzlich und einzigartig. Verbesserungsvorschläge nicht Betriebsblinder werden, weil von außen, will heißen von inkompetenter Stelle kommend, nicht einmal ignoriert.

Was versteht ein Anrainer von Lastautos? Was versteht ein Umweltschützer von Einwegflaschen? Was verstehen Eltern von Kindern? So viel wie ich vom Lichtschalter. Eben. Alles steht.

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