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Der Bliclc in Jen Spiegel

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Sie bemühen sich, Madame, Ihr Mienenspiel zu kontrollieren, um ihre seelische Verfassung nicht preiszugeben, aber werfen Sie an Ihren guten wie an Ihren schlechten Tagen einmal einen kritischen Blick in den Spiegel. Glauben Sie nicht, daß die Art und Weise, wie Sie gekleidet sind, einem geschulten Auge sagen könnte, ob Sie heute todtraurig oder unglücklich sind?

Die Meinung Ihres Mannes über Ihre Kleidung gibt Ihnen eine gute Gelegenheit, ihn besser kennenzulemen. Wenn er Sie nicht gerne in zu gewagten oder zu eleganten Ensembles sieht, die er aber an anderen bewundert, ist er eifersüchtig. Wenn er von Ihnen verlangt, einfache, ja geradezu charakterlose Kleider zu tragen, will er unbedingt dominieren. Wenn er an Ihnen extravagante oder exzentrische Modelle liebt, ist er ein bißchen unsicher.

Menschen, die bewußt ohne Sorgfalt gekleidet sind, sind meist rgaßlos eitel.

Die ärgste Eitelkeit liegt nämlich darin, zu zeigen, daß man absolut nicht eitel sei. Einige von ihnen fühlen sich außerdem viel zu erhaben, um ihre Zeit mit Kleidungsfragen zu vergeuden.

Man behauptet oft, allzu elegante weibliche Angestellte wären unseriös. Weit gefehlt. Meist handelt es sich da um Frauen, die entweder allein oder ein ruhiges Familienleben führen und ihre schönen Kleider ins Büro tragen, weil sie sonst kaum Gelegenheit hätten, sie auszunützen oder sich an ihnen zu freuen.

Frauen, die trotz voller Kleiderschränke nie „etwas zum Anziehen“ haben, sind unglücklich. Wahllose und ausgedehnte Einkäufe sind immer ein Zeichen eines unbewußten Verlangens, die gegenwärtige Lage zu verändern.

Sicher hatten Sie bei Menschen, die an Ihrer Kleidung etwas auszusetzen haben, den unguten Eindruck, diese Leute könn-ten sich Ihnen überlegen fühlen. Dem ist nicht so. Jene, die es nicht unterlassen können, dem anderen den Krawattenknopf zu richten, einen Faden vom Gewand zu ziehen, ein Staubkörnchen wegzuwischen, leiden an einem Minderwertigkeitskomplex. Das ist ihre Art, die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu lenken.

Frauen, die immer mit verdrehten Strunjipfnähten herumlaufen, sind geschwätzig. Ebensowenig wie sie auf die Naht achten, achten sie auch nicht auf ihre Zunge. „

Das Wesen einer Frau erkennt man an dpr Art, wie sie einen Mantel auszieht, Macht sie es nachlässig und selbstverständlich, fühlt sie sich sicher. Zögert sie aber, ihn abzulegen oder preßt ihn gar an sich, ist sie ängstlich. Unsere Kleidung schützt uns physisch und psychisch, ganz unbewußt suchen wir bei ihr Zuflucht.

Auch die allgemein verbreitete Ansicht, daß der Mann über die großen Kleiderrechnungen seiner Frau nicht so böse ist, wie är tut, stimmt. Er wird es freilich niemals zugeben, und Sie sollten es auch nie übertreiben, aber es gibt kaum einen Mann, der sich nicht freut, wenn seine Frau gut angezogen ist.

Menschen, die sich gut, vernünftig, aber nicht besonders auffallend kleiden, sind meist offenherzig und freimütig. Sie fühlen sich überall zu Hause, im Gegensatz zu jenen, die sich zu streng anziehen. Ihr aufrichtiges, dem der Kinder verwandtes Wesen, veranlaßt sie, lange Zeit Kleider zu tragen, die sie gerne haben, ohne sich dabei viel um die Mode zu kümmern. ,

Unglückliche Ehefrauen geben viel Geld aus. Um ihren Minderwertigkeitskomplex, der zwangsläufig aus einer schlechten Ehe resultiert, zu besiegen, tragen solche Frauen übermäßig viel Geld zu ihrer Schneiderin und ihrer Modistin.

Menschen mit feinen Zügen und zarter Haut, werden unwiderstehlich von schönen Stoffen und schlichten Farben angezogen. Sie kaufen lieber ein sehr gutes Stück als drei mittelmäßige. Menschen mit derber Haut und gut gefärbtem Teint, ziehen solide Stoffe und starke Farben vor. „

Menschen, die zuviel anhaben, die immer noch etwas darüber ziehen müssen, ohne wirklichen Grund, fühlen sich verlassen. Sie glaubep nicht genug geliebt, nicht genug beschützt zu werden, und die Kleidung kompensiert diesen Mangel. Jene aber, die zu wenig an sich haben und sich ein Minimum an Komfort leisten, wehren sich gegen jeden überflüssigen Schutz…

Vielleicht sind Sie nicht ganz mit meinen Ausführungen einverstanden, vielleicht finden Sie sie auch unrichtig, aber sehen Sie sich einmal in Ihrer Familie oder Ihrem Bekanntenkreis um. Icfy glaube, Sie werden staunen …

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