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Die Autonummer

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Seitdem das Auto zu einem allgemeinen Verkehrsmittel geworden ist, gibt es Autonummern. Sie dienen in erster Linie dazu, Polizisten die Möglichkeiten zu verschaffen, zu schnell rasende Fahrer aufzuschreiben. In zweiter Linie Steuerbehörden und Versicherungen ihre Taxen beim richtigen Mann ein-zuheben. Drittens können sie von Autodieben ausgetauscht werden, um die Polizei an der Nase herumzuführen. Viertens vermitteln sie Spaßvögeln die Gelegenheit, schamlose Witze zü reißen. Und fünftens eröffnen sie Autobesitzern ein kleines Ventil, durch das ihre Eitelkeit entweichen und offenbar werden kann.

Zuerst sei die Rede von den Spaßvögeln: sie haben es gemeinerweise nicht auf die Ziffern, aus denen die Nummern bestehen, sondern auf die Buchstaben, die diesen beigegeben sind, abgesehen. Diese Buchstaben sind meist Abkürzungen, aus denen ersichtlich, welcher Provinz usw. das betreffende Auto angehört, oder von welcher Behörde, wie Post, Militär, es benützt wird. Aber was machen die Spaßvögel daraus! Da gibt es zum Beispiel in Spanien Regierungswagen, die die Bezeichnung „PMM“ füh ren, was soviel wie „Presi-dencia Ministerial Municipal“ heißt, von ihnen aber gemeinerweise als Abkürzung für „para mi mujer — für meine Frau“ ausgelegt wird. Dann gibt es in Ostberlin die Abkürzung „GB“ und in Westberlin die Abkürzung „KB“. Das eine Zeichen bezeichnet schlicht und einfach „Großberlin“, das andere „Kommandantur Berlin“. Was machen unsere Spaßvögel daraus? Sie behaupten, das eine heiße „Große Bonzen“, das andere „Kleine Bonzen“. Und was sie mit den Abkürzungen „CC“ und „CD“ treiben, ist wirklich arg. Beide Abkürzungen haben etwas Veredelndes für jede Autonummer. Mag die Ziffer noch so unauffällig sein, wenn ihr „CC“ oder gar „CD“ beigesetzt ist, werden die meisten Kenner der Materie in Ehrfurcht erstarren. Denn die eine Abkürzung besagt, daß ihr Inhaber Mitglied des „Corps consu-laire“, die andere, daß er gar Mitglied des „Corps diplomatique“ ist. Und unsere Spaßvögel? Sie behaupten, das eine, das „CC“, sei die Abkürzung für „Corps comique“ und das andere — haha! — sei die Abkürzung für „Chauffeuse dangereuse — gefährliche Wagcnlenkerin“ oder „Contrebandier diplome — geprüfter Schmuggler“. Das ist doch wirklich arg! Aber das ist noch gar nichts dagegen, was sich diese bösen Buben in der Schweiz erlauben: In der Eidgenossenschaft hat nämlich ein jeder Kanton ein eigenes Zeichen; nicht nur sein Wappen prangt neben dem Schweizer, oberhalb der Ziffer findet sich auf weißem Feld in schönen schwarzen Buchstaben die betreffende Abkürzung, aus der jederzeit und leicht der Heimatkanton abgelesen werden kann. „UR“ ist zum Beispiel das Zeichen für den Kanton Uri. Aber Max und Moritz, diese bösen Buben, die nicht nur behaupten, daß dieser Kanton schon in der Bibel genannt werde, weil es dort heißt, „Melius nubere quam uri“, was sie außerdem noch, völlig falsch, mit „Es ist besser zu heiraten als im Kanton Uri zu leben“, übersetzen, sie behaupten auch noch, „UR“ sei die Abkürzung für „Unfallsrekord“. OcTer was machen sie aus „SZ“, dem Zeichen für Schwyz? Es bedeute — „sagenhafte Zechbrüder“. „SG“, das Zeichen für St. Gallen, lösen sie mit „sehr geschäftstüchtig“ auf. „TG“, die Abkürzung für den Kanton Thurgau, mit „tatsächlich gekauft“, Neuchätel, dem jüngsten Kanton, werfen sie dies immer vor, indem sie sagen, sein Zeichen „NE“ heiße nichts anderes wie „Neuere Eidgenossen“. Und' was sie mit dem Zeichen für Wallis treiben, ist überhaupt schrecklich. In diesem schönen Rhonetal wächst nämlich viel, sehr viel Wein, der nicht immer verkauft werden kann, weshalb ein eidgenössischer Handelsminister namens Rubatel verordnete, er müsse teilweise anderen Weinsorten beigemischt werden. Nicht nur, daß sie diesen Wein dann „Rubateller“ nannten, sie behaupteten auch, das Zeichen „VS“ dieses Kantons besage nichts anderes wie „Vin sub-ventionne — subventionierter Wein“. Ist es nicht furchtbar, dies den Leuten immer vorzuwerfen?

Aber verlassen wir diese zahlreichen Max und Moritze und wenden wir uns lieber einem erfreulicheren Kapitel zu, nämlich den kleinen Eitelkeiten der Welt. Sie zeigen sich oft auch an den Autonummern, richtiger gesagt an den Autoziffern. Diese müssen nämlich oft dazu herhalten, der Welt zu beweisen, was für ein besonderer Mensch man sei. Denn eine besondere Ziffer hat nur ein besonderer Mensch.

Besonders beliebt sind natürlich alle Nummern unter hundert. Das ist klar. Denn eine solche kleine Gruppe von Menschen kann nur aus lauter vom Schicksal Bevorzugten bestehen. Je tiefer die Nummer, desto höher der Rang des Autoinhabers. Es soll in manchen Ländern vorkommen, daß Frauen sich gegenseitig dadurch zu übertrumpfen trachten, daß sie anderen Geschlechtsgenossinnen deren höhere Autonummer vorwerfen. Die Wichtigkeit des Autobesitzers verraten natürlich auch noch alle Nummern zwischen

hundert und tausend. Aber da solche Nummern schon schwerer zu merken sind, trachten die Besitzer dieser Kategorie, ihre Autonummern zu „veredeln“. Dies kann entweder auf optische oder mathematische Art geschehen. Eine Autonummer 333 fällt ungleich mehr auf als eine Autonummer wie 385. Auch 707 ist gut, die Ziffern „sieben-null-sieben“ sprechen sich wie ein Vers von Morgenstern. Nicht minder gut ist 123 oder 345 usf. Absteigende Zahlen wie 432 fallen ebenfalls leichter auf. Auch kleine mathematische Tricks „veredeln“ die Nummern, zum Beispiel die Nummer 781. Jedermann fällt sofort auf, daß die erste Zahl, vermehrt um die letzte die mittlere ergibt. Aehnlich verhält es sich mit 124: das Zweifache der ersten Zahl ergibt die zweite, das Zweifache der zweiten die dritte. Oder 632. Der Fäll ist wieder klar. Die erste Zahl dividiert durch die zweite ergibt die dritte.

Gute Autozahlen sind natürlich auch noch die Nummern zwischen 1000 und 10.000. Schließlich spricht man nicht umsonst von den „oberen Zehntausend“ und eine solche Nummer verrät, daß man zu dieser Schicht gehört. Wieder kann man hier durch optische und mathematische „Operationen“ die Zahlen „veredeln“. 7777 oder 1234 knallt doch nur so in die Augen. Oder gar 9999. Die Zähl 6006 ist dagegen schon eine mathematische Brücke: „sechs-null-null-sechs“ lautet die Gleichung, die sich jeder leicht merkt, denn erste und letzte, zweite und dritte Zahl sind gleich. Auffallend ist auch eine Nummer wie 7272, denn erste und dritte, zweite und vierte sind gleich oder einfacher gesagt, die erste zweistellige Zahl wiederholt sich einfach.

Arm sind dagegen schon alle Autobesitzer mit Nummern über 10.000. Sie sind „nichts“ wie Autobesitzer. Die schönsten optischen oder mathematischen Mätzchen wie 11.077. oder 22.222 verfangen nicht mehr besonders. Zu hoch sind schon die Nummern und zu tief deshalb die soziale Stellung des Besitzers — wenn er sich aus der Nummer etwas macht und nicht überhaupt froh ist, schon einen Wagen zu haben. Oder vielleicht gar nicht eitel ist.

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