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Schön, hold und rein

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Ein klassisches Gesicht.

Da läßt sich was machen.“ Die Visagistin hebt mein Kinn, dreht es seitwärts, nach rechts und links. Der oberste Halswirbel knirscht indigniert. Uber ein halbes Jahrhundert lebte ich problemlos, ohne einen solchen Luxustempel von innen gesehen zu haben. Und plötzlich meint meine Brut, ihre Glucke gleiche, je länger desto schlimmer, einem Schrumpelwinter - möhrchen und schenkt mir einen Schönheitsbon. Ich bin zwar alters

gemäß beinah hormonlos, doch noch nicht ganz humorlos, man kann mich also ungestört auf den Arm nehmen.

Mit gemischten Gefühlen besteige ich das operationstischartige Hochlager, sauge, klinisch sauber verpackt, alle Düfte des Orients ein und versuche, der geforderten Entspannung nicht durch krampfhaftes Nachdenken hinderlich zu sein, ob ich denn das Bügeleisen ausgeschaltet habe oder nicht.

Ich hätte nie für möglich gehalten, was man auf einer Fläche von ein paar Quadratzentimetern Gesichtshaut plus zirka elf Zentimeter

Halsstengel in zwei Stunden alles unternehmen kann.

Goethes Hochzeitslied fällt mir ein: „Da ringelt’s und schleift es und rauschet und wirrt, / Da pispert’s und knistert’s und flüstert’s und schwirrt … “ / Das makellose Antlitz über dem meinen verunziert kein Fältchen, Pickelchen, Fleck. Lider wie Eisvogelflügel, Wimpern klimpern Beautyblicke, die Lippen: Verheißung in dreierlei Rot. Die Schönheit säubert und salbt, nebelt und rubbelt, zupft und massiert - und das alles in meinem Gesicht.

Nach eineinhalb Stunden meint sie, ein wenig Farbe bekäme auch

mir. Ich denke an die Verabredung mit meinem Mann und bitte um mildernde Umstände. Vergebens. Sie zieht alle Register des Regenbogens über und unter meine kuhbraunen Augen, meine Wangen glühen alp, in Jochbeinhöhe geht Sahara sacht in Coconut über. Grüngoldene Wimpern korrespondieren mit Brauen in Indigo, mein Mund eine Ampel, immer auf Rot.

Mein Mann las im Kaffeehaus Zeitung. Als ich mich ihm gegenübersetzen wollte, schaute er kurz auf und bedauerte, dieser Platz sei schon leider besetzt, er erwarte nämlich seine Frau.

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