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Anlaß zur Gewissenserforschung

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Der Wiener Aufenthalt des a divinis suspendierten traditionalistischen Alterzbischofs Marcel .Lefebvre hat keine Schlagzeilen gemacht. Es wurde keine Kirche besetzt, das Wiener Erzbischöfliche Ordinariat verzichtete darauf, die Sache durch eine offizielle Erklärung hochzuspielen,

der „konservative Rebell“ selbst ließ Hoffnung auf eine Versöhnung mit Rom durchblicken. Daß er sich im Kern verändert gezeigt habe, wird allerdings niemand behaupten können.

Wahrscheinlich haben viele Katholiken aufgeatmet, als sie hörten, wie klein die Zahl der Teilnehmer an Messe und Vortrag war: die

Polizei, die nichts anderes zu tun hatte, als eine bautechnisch gefährliche Überfüllung des Saales zu verhindern, schätzte sie auf rund tausend.

Auch wenn viele Interessenten, die keine Eintrittskarten mehr hatten bestellen können, von vornherein wegblieben, auch wenn man einbezieht, daß keinerlei öffentliche Werbung betrieben worden ist, wird man nicht von einem durch die Quantität beunruhigenden Treffen sprechen können. Der Großteil der Anwesenden stand in vorgerücktem Alter.

Es mag also für viele naheliegen, zu sagen, das Phänomen Lefebvre sei für den österreichischen Katholizismus schon jetzt bedeu-

tungslos und werde zwangsläufig in den nächsten Jahren noch an Gewicht verlieren.

Aber so leicht darf man es sich, das ist meine feste Überzeugung, wirklich nicht machen. Nicht nur, weil man ja weiß, daß Lefebvres Prie-

sterbruderschaft und ihre Gefolgschaft nur die Spitze eines Eisbergs bilden, daß viele Sympathisanten nur durch die Tatsache der Su-

spendierung des Alterzbischofs und seinen offenen Krieg mit Rom von einer Identifizierung mit seinem Anliegen abgehalten werden.

Allein die Tatsache, daß eine solche Bewegung in der Weltkirche, und also auch in Österreich, entstehen konnte, muß Anlaß zum Nach-

denken sein. Christlich gesprochen: zur Gewissenserforschung.

Gerade, wenn wir Katholiken heute mehr denn je wissen, daß „die Kirche“ nicht nur Bischöfe und Priester sind, sondern wir alle, stellt sich jedem einzelnen die Frage, wo und wie wir selbst mitverantwortlich sind für diese intransigente Ausformung des Traditionalismus.

Konkret: Haben wir es nicht verabsäumt, uns selbst mit den Aussagen und Intentionen des Konzils so vertraut zu machen, daß wir sie auch jenen nahebringen und erläutern können, die nicht von sich aus und von vornherein die Notwendigkeit von Neuerungen sehen?

Waren und sind wir nicht fixiert darauf, Progressiven zu erläutern, wie modern doch vieles in der Kirche heute sei, daß wir vergessen haben, wie wichtig (übrigens auch für uns selbst) es ist, das Unveränderliche, Bleibende - also das eigentlich Wesentliche an Kirche und

Glauben - immer wieder zu betonen und in den Mittelpunkt zu stellen?

Haben wir nicht immer wieder durch unser Schweigen möglich gemacht, daß Fehlmeinungen entstehen konnten, wie etwa: „Das Latein ist in der Kirche abgeschafft“ (als ob das Konzil nicht ausdrücklich gewünscht hätte, die Gläubigen sollten in die Lage versetzt werden, die lateinische Liturgie besser zu verstehen und mitzufeiem)?

Sind die eifrigen Verfechter der „Handkommunion“ wirklich bemüht zu zeigen, wieviel Gläubigkeit, Ehrfurcht und Demut in der Geste der erhobenen Handfläche ausgedrückt werden kann, oder haben sie ohne Rücksicht auf das Gewissen des Priesters einfach auf ihr „Recht“

gepocht und tun es weiterhin?

Waren und sind wir blind für das echte Leiden in der Kirche, das viele bewegt in den Reihen der Anhänger Lefebvres, wie unter denen, die den letzten Schritt in diese Richtung nicht getan haben? Haben wir nicht zugelassen, daß in mancher Gemeinde und Gemeinschaft die

„Altmodischen“ links liegen gelassen, ja, aus ihr hinausgeekelt worden sind?

Für all das kann man nicht das Konzil, nicht die Bischöfe verantwortlich machen. (Das zu tun, ist einer der Irrtümer Lefebvres und seiner

Gefolgschaft, zu der ich mich gewiß nicht zähle.)

Da hat jeder von uns, der sich mündiger Katholik nennt, nach seinen eigenen Unterlassungen, Einseitigkeiten und Lücken in der in-

nerkirchlichen brüderlichen und schwesterlichen Liebe zu fragen. Es ist noch nicht zu spät. Und auch das Gebet um die Versöhnung kann Bei-

trag und tätige Reue sein.

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