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Ausverkauf der Krankenschwester?

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Gesetzesnovellen sollen Neues bringen. Es kommt aber auch vor, daß Mißstände, denen es gelingt, längere Zeit fortzubestehen, schließlich nicht mehr als solche empfunden und daher legalisiert werden. Häufig hinT ken Gesetzesnovellen den Entwicklungen und Tendenzen nach und bestätigen bloß spontan Gewachsenes, oft privater Initiative Entsprungenes.

Die jüngste Novelle zum Krankenpflegegesetz, die am 1. September in Kraft tritt, läßt sich insofern in eine der angedeuteten Kategorien einordnen, als sie tatsächlich etwas Neues bringt. „Neu“ bedeutet aber nicht immer und unbedingt gut — und Gutes hat diese gravierende gesetzliche Änderung nicht aufzuweisen. Worum geht es?

In Österreich wie in der gesamten westlichen Welt überhaupt werden Fachausbildungen, zu denen auch die Krankenpflege gehört, nach dem Grundsatz durchgeführt:

Die für eine Fachausbildung erforderliche Allgemeinbildung wird vorausgesetzt und nur solche Bewerber werden zugelassen, welche diese Bildungsvoraussetzung in einer allgemeinen Bildungsanstalt erworben haben.

Der neue Weg in der Schwesternausbildung sieht nun ab dem neuen Schuljahr vor:

Die für die Krankenpflege erforderliche Allgemeinbildung wird nicht mehr vorausgesetzt, sondern im Rahmen der Berufsausbildung erworben. Da sich dadurch die Dauer der Ausbildung von drei auf vier Jahre verlängert, wird das Eintrittsalter in die Krankenpflegeschule von bisher 17 Jahren auf 15 Jahre herabgesetzt. Das Ende der Ausbildung kann mit dem 19. Lebensjahr erreicht werden. Dies korrespondiert mit der Herabsetzung der Großjährigkeit.

Die Verlängerung der Ausbildung um zwölf Monate sieht aber keine Verbesserung der Bezahlung oder des Tätigkeitsbereiches vor.

Die Gesetzesnovelle muß also ah eine präjudizierende Umstrukturierung angesehen werden. Nachdem sich in den letzten Monaten bei den landwirtschaftlichen Schulen nämlich eine Neuordnung herbeiführen ließ, bleiben die Krankenpflege und die medizinisch-technischen Dienste die einzigen Ausbildungen in Österreich, die nicht dem Unterrichtsministerium unterstehen.

Die Novellierung wurde nach ausländischem Muster konstruiert, obgleich man im Ausland denkbar schlechte Erfahrungen damit gemacht hat. Dabei ist es etwa im Ostblock wenigstens gelungen, diese Mischung aus allgemeinbildender und berufsbildender Schule matura-wertig zu machen — wie aber sollte diese Außenseiterlösung in das österreichische Bildungswesen passen?

Der Ausverkauf des Berufes der Krankenschwester ist angebrochen Nach vielversprechenden Ansätzen und Entwicklungen ist ein radikales Tief verursacht worden. Dabei konnte doch soviel Positives in der Krankenpflege während der letzten Jahre geschehen. Allerdings gibt es den Fortschritt nicht dort, wo er am nötigsten wäre, nämlich im menschlichen, berufsethischen Bereich — aber kann ein einziger Berufsstand von der Entwicklung der gesamten Gesellschaft verschont bleiben?

In einem knappen Dezennium — nimmt man die einzelnen Novellen zum Krankenpflegegesetz zur Hand — gab es beachtenswerte Entscheidungen:

Etwa den großen Schritt in der Psychiatrie, für die eine berufsmäßige dreijährige Ausbildung geschaffen wurde. Freilich bedarf sie noch der Konsolidierung, aber die

Weichen sind gestellt und die Neuerung kann wirksam werden, wenn es gelingt, die Pflege in Beziehung zur psychiatrischen Wissenschaft zu bringen. Jeder sollte gerade an dieser Entwicklung mitarbeiten, denn alles Unbefriedigende im Gesundheitswesen, im Krankenhaus, trifft unweigerlich das schwächste Glied und das ist eindeutig der Patient — mehr als andere noch der psychiatrische !

• Eine weitere Novelle versetzte Österreich vor zirka drei Jahren vom Standard eines Entwicklungslandes in den Zustand annähernder Chancengleichheit der heimischen Krankenschwestern zu denen der anderen europäischen Länder: eine gesetzlich verankerte Fortbildung machte die Krankenpflege konkurrenzfähig und verbesserte ihr Image. Freilich besteht zur Zeit noch ein Nachholbedarf, und die Effektivität wäre durch ein Bundesinstitut größer geworden, als es Hausmachtdenken letztlich zuließ.

Es scheint wichtig, daß sich die Öffentlichkeit mit den Fragen der Krankenpflege bereits in „gesunden“ Tagen beschäftigt. Da es viele Schlagworte im Gesundheitswesen gibt, sollte man präzisieren, um so mehr, als Parteipolitik in einer Dosis vorzufinden ist, bei der das Heilmittel, ehe man sich's versieht, zum Gift werden kann.

Der Vorwurf, daß das neue Krankenpflegegesetz einem Berufsstand den Boden unter den Füßen wegzieht, trifft seine Initiatoren allerdings'nur zum Teil; ihr Mangel an Phantasie gab ihnen diese kleinkarierte Lösung ein. Letzlich aber sind wir alle daran beteiligt. Alle: das ist die Gesellschaft, die nun für die Pflege ihrer Kranken und Alten halbe Kinder ans Krankenbett drängt.

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