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Sorgen um die österreichische Krankenpflege

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Durch das Bundesministerium für sq-ziale Verwaltung wurde dem Nationalrat im Frühjahr 1949 ein Krankenpflegegesetz zur Beschlußnahme vorgelegt. Seither wurden so grundlegende Mängel dieses Gesetzes offenbar, daß es unmöglich , erscheint, auch nur die gröbsten Fehlgriffe in der Durchführungsverordnung auszugleichen. Sie wirken sich aber jetzt schon in bedrohlicher Weise auf die gesamte Krankenpflege und die ärztlichen Hilfsberufe aus.

Man muß daher heute bereits die Tagespresse zu Hilfe rufen, um für den Beruf der Krankenpflege beziehungsweise für die neuen Pflegeschulen mit dreijähriger Schulzeit, Aufnahms-, Eig-nungs-, Vor- und Diplomprüfung zu werben. Als Lockmittel soll die nunmehr gesetzlich festgelegte freie Station, Bekleidung, Taschengeld usw. wirken;“Ein sehr bedenkliches Werbemittel für einen Beruf, der doch eine innere Berufung voraussetzt.

Die Bevölkerung hat die enormen Kosten zu tragen, die ihr im neuen Pflegegesetz durch die zusätzliche Einrichtung von Internaten, für sechs (!) Schultypen (mit Lehrern, Schulmaterial, Schulküchen, Laboratorien usw.), für Verpflegung, Dienstkleidung einschließlich Reschuhung, Taschengeld, Versicherung der Schülerinnen aufgebürdet werden. Es soll damit nichts gegen das Bestreben gesagt sein, jenen, die sich der eigentlichen Krankenpflege wirklich widmen wollen, Ausbildung und Fortbildung auf diese Weise unentgeltlich zu ermöglichen. Warum aber die Steuerträger solche Lasten auch für die Ausbildung etwa der Heilgymnasten, der Diätassistentinnen, der medizinisch-technischen Assistentinnen bezahlen sollen, ist wirklich nicht einzusehen.

Man würde es auch verstehen, wenn „fai Gesetz besonders fähigen Schwestern Aufstiegsmöglichkeiten durch Fortbil-. dungskurse und Befähigungsnachweise etwa zur Abteilungsschwester, Oberschwester, Lehrschwester usw. geboten würden, doch ist davon im Gesetz keine Rede. Man versucht lediglich durch eine keineswegs ungefährliche Aufblähung und Verlängerung des Unterrichtes um ein Jahr und durch die Forderung nach Hauptschulbildung eine Aufspaltung des' Pflegeberufes in sechs Sparten zu erreichen: 1. Krankenpflege, 2, Säuglingspflege, 3. Heilgymnastik und Therapie, 4. Heildiät, 5. medizinisch-technischer Hilfsdienst mit und 6. ohne Patientenkontakt. Alle jene aber, die nicht nach freiem Unterhalt oder nach einer „gehobenen Stellung“ im Beruf oder in der Berufsorganisation streben, sondern sich ausschließlich und aus innerem Bedürfnis der Pflege kranker Mitmenschen widmen wollen, vor allem also die geistlichen Schwestern ohne Hauptschulbildung, werden durch das neue Gesetz daran behindert, dem Zug ihres Herzens zu folgen, nach dem die Kranken viel mehr fragen als nach der Hauptschulbildung der Schwester und den Kenntnissen um das Sozialversicherungswesen.

Der durch solch überspitzte Forderungen (zum Beispiel auch Prüfung aus interner, medizinischer, chirurgischer Frauenheilkunde usw.) bereits fühlbar werdende Nachwuchsmangel wird noch verschärft durch die oben erwähnte Zersplitterung und durch Aufsaugen von Berufen, die mit der eigentlichen Krankenpflege zum Teil nichts zu tun haben. Daß in dem Gesetz Irrenpfleger und Operationsschwestern völlig vergessen wurden, sei als Charakteristikum für die geringe Sorgfalt, mit der das Gesetz offensichtlich vorbereitet wurde, nur am Rande vermerkt. Dafür werden bisher selbständige und auch im Ausland.hochangesehene Berufe durch ein Surrogat ersetzt, das wohl für Provinzspitäler zweckmäßig sein kann, niemals aber den Anforderungen geredit wird, die man an größere Krankenhäuser des In- und Auslandes zu stellen, gewohnt ist. Man hat aber geflissentlich vermieden, in der Ausbildung zum Beispiel zwischen der Diätschwester und der Diätassistentin, der Röntgenschwester und der Röntgenassistentin usw. zu unterscheiden und einfach die bisher hochqualifizierten Assistentinnenberufe zu einem bloßen Anhängsel an die Krankenpflege degradiert. Daß diese Behauptung keine Übertreibung ist, zeigt die zwangsweise erfolgte Schließung von weit über die Grenzen unseres Landes hinaus bekannten Spezialanstalten und die Vorschrift, daß für diese Assistentinnen Hochschulreife ebenso unnötig sei wie eine mehr als einjährige Ausbildung, daß aber einer solchen Ausbildung unbedingt eine bezahlte zweijährige Schulung in der Krankenpflege vorangehen müsse. Zwei volle Jahre Leibschüsselaustragen, Hemdenwechseln, Aufbetten usw. für die künftige Diät-, Heilgymnastik-, Röntgen-und Laboratoriumsassistentin statt einer fachlichen Ausbildung, in welche die Grundzüge der Krankenpflege zum Teil bereits eingebaut waren!

Am krassesten kommt diese Herabsetzung des Berufes in der Trennung der teedizinisch-technisdien Assistentinnen in solche m i t und ohne Patientenkontakt zum Ausdruck. Die letzteren sind von der zweijährigen theoretischen und praktischen Ausbildung in der Krankenpflege wohl befreit, dürfen aber in keinen Kontakt mit Patienten kommen. Dafür ein Beispiel: Eine Blutgruppenbestimmung im gerichtlich-medizinischen Institut. Dazu muß ein kleiner Einstich in die Fingerbeere des Patienten gemacht werden. Das darf nun nicht die medizinisch-technische Assistentin ohne Patientenkontakt machen, sondern dazu muß eigens ein Arzt von seiner Arbeit abgezogen oder eine medizinisch-technische Assistentin .mit Patientenkontakt“ mitgeschickt werden! Solche gesetzliche Bestimmungen machen Österreich in den Fachkreisen des Auslandes nur lächerlich; sie sind auch eine entwürdigende und beleidigende Zumutung; besagen sie doch nichts anderes, als daß die Lehrkräfte an den Schulen für medizinisch-technische Assistentinnen ohne Patientenkontakt wohl imstande sind, ihren Schülerinnen Hygiene, Bakteriologie und sogar einwandfreies bakteriologisches Arbeiten beizubringen, nicht aber, wie man etwa einem Patienten einige Tropfen Blutes entnimmt.

Es wird sicher niemandem schaden, wenn er eine Grundausbildung in Krankenpflege und erster Hilfe mitmacht (etwa ein halbes Jahr, da eine Reihe von Unterrichtsgegenständen die gleichen sind). Das erwies sich in den verflossenen zwei Kriegen. Diese Elementarausbildung und deren Überprüfung muß genügen für den „Patientenkontakt“ der Assistentinnenberufe.

Schließlich sollen, um nur noch eine Ungeheuerlichkeit zu erwähnen, nach den Durchführungsbestimmungen die bereits im Beruf stehenden Pflegerinnen, Assistentinnen usw. zu einer ergänzenden, einjährigen Ausbildung mit Schlußprüfung verhalten werden. Wer kann „verhalten werden“, seinen Beruf um einer ergänzenden Ausbildung und Prüfung wegen für ein Jahr aufzugeben, deren Anforderungen er längst erwiesen haben muß? Wer wird für den Verdienstentgang, die Lehrgangskosten usw. aufkommen? Wer wird die während der Ergänzungslehrgänge auftretenden Lücken bei dem ohnehin bestehenden Mangel an Pflegeschwestern ausfüllen? Aus wirtschaftlichen, sozialen, menschlichen und kulturellen, aber auch aus rein formellen Gründen, auf die hier gar nicht weiter eingegangen werden soll, verlangt das neue Krankengesetz nach einer Novellierung. Sie muß, sollen nicht die Krankenpflege und die ärztlichen Hilfsdienste schweren Schaden erleiden, rasch, diesmal aber im Einvernehmen mit allen zuständigen Stellen, durchgeführt werden. Auf unseren Volksvertretern im Nationalrat lastet eine schwere Verantwortung.

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