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Barmherzigkeit beim letzten Gang

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Auch auf dem Lande kommt es immer häufiger vor, daß eine christliche Gemeinde, insbesondere der Pfarrer, vor die Frage gestellt wird: Wie verhalte ich mich, wenn die Angehörigen für einen 'lieben Verstorbenen um ein kirchliches Begräbnis bitten? In der Pfarrkartei ist aber vermerkt: „N. N. o. B“ (ohne i*el. Bekenntnis), „aus der Kirche ausgetreten am 2. 11. 1972 ..

Das Kirchenrecht gibt ein klares Nein zur Antwort. Müßte nicht daher für mich als Pfarrer der Redlichkeit halber mein klares Nein folgen? Der nun Verstorbene wußte ja um diese Satzungen der kirchlichen Gemeinschaft. Er ist trotzdem weggegangen: „Ich erwarte von dieser Kirche nichts mehr, wie auch sie von mir nichts mehr zu erwarten hat.“ Wäre es jetzt nicht eine „Vergewaltigung“ des Toten, ihm Kirchliches aufzudrängen, weil er sich nicht mehr wehren kann?

Aber gibt es da nicht auch die Angehörigen? Besonders schmerzvoll sind Schicksale, wo die Familie schon unter dem Kirchenaustritt eines ihrer Mitglieder gelitten hatte — und jetzt das Sterben und das Begrabenwerden ohne tröstendes Dasein der Kirche?

Für viele (die meisten?) Katholiken ist diese Tatsache einschneidender als der Ausschluß aus den Sakramenten. Irgendwie müßte die Kirche — als Hoffnungszeichen — auch in solcher Situation ihr Nahesein zeigen können, ohne ihren Anspruch auf „Vereinssatzungen“ aufzugeben — vorausgesetzt, daß die Angehörigen die ausdrückliche Bitte darum an die Gemeinde richten.

Unter dieser unabdingbaren Voraussetzung praktiziere ich folgendes: Ich führe mit der trauernden Familie ein menschlich mitfühlendes Gespräch, in dessen Verlauf ich auch um Verständnis bitte, daß ein Begräbnis wie für Vollmitglieder der Gemeinde nicht möglich ist. Der Verlauf des Begräbnisses wird besprochen, und die Zusage meines Dabeiseins bedeutet schon ein wenig Trost.

Ich finde mich mit den anderen Trauergästen ohne priesterliche Kleidung bei der Aufbahrungshalle ein und begrüße die nächsten Angehörigen ganz persönlich. Der Bestatter oder ein Vorbeter der Gemeinde beginnt die Feier und ersucht mich um ein Gebet für den Verstorbenen.

Ein klärendes, offenes Wort ist vorher unbedingt nötig, beginnend mit der Feststellung, warum ein kirchliches Begräbnis nicht möglich ist: Weil der Verstorbene aus der christlichen Gemeinde ausgetreten ist und die Kirche den freien Entschluß respektiert, wenn auch mit Schmerz und ohne eine Verurteilung auszusprechen.

Dann erläutere ich, warum ich als Pfarrer (es könnte auch ein anderer Priester oder ein bevollmächtigtes Gemeindemitglied sein) bei diesem Begräbnis trotzdem (als „Mitchrist“) da bin: weil ich den Verstorbenen gekannt habe, weil mich die Angehörigen um diesen Bruderdienst ersucht haben, weil die Kirche auch die von ihrer Gemeinschaft Weggegangenen nicht abschreibt, weil die Kirche über ihre eigenen Gesetze hinauswächst und dem Wort Jesu treu sein möchte: „Ich will, daß keiner verloren gehe, die du mir anvertraut hast...“

„Und so lade ich Sie ein, mit der Familie und mit mir für unseren verstorbenen Mitbruder N. (Mitschwester N.) zu beten ... “ Nach einem kurzen persönlichen Gebet wird ein kurzes Evangeliumstück verkündet (Joh. 14,1-6: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen ...“)

In der Kurzansprache wird der Blick auf den Lebensweg dieses Menschen gerichtet. Es wird der Blick auf die Barmherzigkeit Gottes gelenkt. Anschließend folgt eine „Gewissenserforschung“ der Gemeinde: Wie war sein (ihr) Fortgehen aus dieser unsrer christlichen Gemeinde möglich? Sind wir Pfarrer, Pfarrgemeinde- rat, katholischer Männer, Frauen, Jugendliche — so gut, so hilfsbereit, so einladend, so Jesus nachfolgend, so Hoffnung lebend und gebend, daß jemand schwer aus der Kirche austritt? Sind wir so „ein Herz und eine Seele“, daß der Fortgehende sich sagen muß: Wenn ich weggehe, tu ich Freunden weh, verlasse ich das Haus meines Vaters, in dem jeder Wohnrecht hat, auch wenn er anders denkt... Sprechen wir den Enttäuschten gut zu, zu bleiben? Oder schimpfen wir mit, anstatt aufzuklären, wozu z. B. die „Kirchensteuer“ nötig ist? Wann habe ich einem Ausgetretenen gesagt: Komm zurück, trotz der Fehler, die unsrer Kirche anhaften!?

In Stille und mit Gebet wird der Verstorbene beigesetzt. Auch für ihn gilt: „Im Wasser wurdest du getauft — der Herr vollende an dir, was er in der Taufe begonnen hat!“

Der Autor ist Pfarrer in Steinerkirchen an der Traun, Oberösterreich.

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