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Besuch der Puppen am Gürtel

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Wir haben den Gedanken, einen Teil der Aufführungen des Staatsopernballetts in die Volksoper zu verlegen, aufrichtig begrüßt, ließ doch diese Maßnahme erhoffen, daß die Wiener Ballettfreunde häufiger Gelegenheit haben werden, sich mit den Leistungen der Wiener Tänzer auseinanderzusetzen und daß es der Leitung des Balletts möglich sein wird, eine größere Programmbreite zu erzielen, als dies bei den wenigen Aufführungen, die der Compagnie im Haus am Ring zugebilligt werden, möglich ist. Ein wenig enttäuscht ist man daher von der Programmwahl des ersten Abends, der als „Premiere“ angekündigt war, obwohl er rechtens nur ein Übersiedlungsmanöver darstellte. Man wollte offenbar dem „wienerischen“ Stil in seiner konventionellsten Ausprägung huldigen und wählte aus diesem Grunde zwei Ballette, die ausgesprochen historisierenden Charakter haben.

„Die Puppenfee“ von Josef Bayer, k. k. Hofkapellmeister, ist seit der Uraufführung im Jahre 1888 ein Lieblingsstück der Wiener, In den sechsundfünfzig Jahren bis 1944 erlebte dieses Ballett 708 Aufführungen und kann sich daher nur mit der „Prinzessin von Tragant“ von Oscar Straus messen. Die alte Choreographie von Ballettmeister Josef Haßreiter ist vielfältigen Wandlungen unterworfen worden, die letzte, 1971 für die Staatsoper unternommene Bearbeitung stammt von Willy Franzi, einem der letzten überlebenden Haßreiter-Schüler. Die Volksoper hat sie vom Ring ohne Änderung übernommen — zusammen mit den Bühnenbildern von Robert Kautsky (nach Entwürfen des Mitautors Franz Gaul, der vielleicht ein begabter Librettist, aber sicher kein einfallsreicher Bühnenbildner war).

Das „wienerische Ballett-Genre“ — durch Hitler und den Zweiten Weltkrieg arg zerzaust — sollte im phäakischen Zeitalter nach der Wiedereröffnung der Staatsoper fröhliche Urständ feiern. So wollte es die damalige, dem kulinarischen Ideal verpflichtete Operndirektion. Erika Hanka, die Unvergessene, schuf zu diesem Zwecke eines ihrer schwächeren Werke, den Fünfkreuzerroman von der großen Diva und dem Attache: „Hotel Sacher“ (1957). Dieses Ballett hat leider einige Patina angesetzt, so daß Frau Hanka es heute kaum wiedererkennen würde. Die Altersschäden äußern sich nicht nur in der verstaubten, fadenscheinigen Ausstattung.

So sehr man die Programmwahl des Abends bedauern mag, die dem konservativen Geschmack des Volksopernpublikums allzusehr Rechnung trägt, muß man doch Ballettdirektor Aurel von Milloss dafür dankbar sein, daß er die Compagnie in vorzüglicher Verfassung vorstellte. — Bis auf einige kleinere Nachlässigkeiten und Präzisionsmängel beim Corps de Ballet standen die gezeigten Leistungen fast durchweg auf hohem Niveau, so daß sich die Damen und Herren der Compagnie mit einem Pauschallob für ihre technisch einwandfreie, stilsichere Darbietung begnügen müssen.

Keinerlei Lob dagegen gebührt dem Orchester, das unter der Leitung von Heinz Lambrecht ungewöhnlich grob und undifferenziert spielte. Hier kann die warnende Stimme nicht früh genug erhoben werden. Es geht nicht an, daß auch an der Volksoper die Aufführungen des Staatsopernballetts als Quantite negligeable betrachtet werden, die man getrost- Substituten überlassen kann. Alle von uns vorgebrachten Bedenken schienen das Publikum nur wenig zu belasten. Es vergnügte sich an den tanzenden Puppen ebenso wie an den Liebesaffären im Hotel Sacher.

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