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Cavallis „Egisto“ in München

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Mit der konzertanten deutschen Erstaufführung von Francesco Cavallis Pastoraloper „Egisto“ wollte man an denkwürdige Nymphenburger Abende — wie an die Monteverdi-Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg, die Purcell-Interpretationen oder die Aufführung von Buxtehudes „Das Jüngste Gericht“ — anknüpfen. Francesco Cavalli wurde 1602 in Crema geboren und gehörte — zusammen mit Cesti — der jungen venezianischen Opernschule an, die direkt an Claudio Monteverdi, den Schöpfer des „Orfeo“, anschließt. Die Venezianer brachten die Oper unters Volk, vereinfachten den Orchestersatz und drängten den Chor zugunsten virtuosen Kastratengesanges zurück. Für ihre bunt-allegorischen, prunkvollen Handlungen bildeten sie Secco-Rezitativ und Arie aus und stilisierten den Ausdruck der Affekte immer formelhafter. Kurz zur Handlung des „Egisto“: Zwei Liebespaare stehen im Mittelpunkt. Egisto, Abkömmling des Sonnengottes der Insel Delos ist mit Glori verlobt, während Glimene die Braut des Lidio ist. Auf Betreibung der Venus werden beide Paare von Corsaren geraubt, doch gelingt ihnen die Flucht auf die Insel Zante, allerdings unter veränderten Vorzeichen, denn jetzt lieben einander Lidio und Glori, was Egisto zum Wahnsinn treibt. Doch Amor erbarmt sich des Egisto und es gelingt ihm, Venus umzustimmen und auch ihren Segen den füreinander bestimmten Liebespaaren zu spenden.

Hans Ludwig Hirsch, ein noch junger Komponist und Dirigent, der sich in München immer stärker durchzusetzen beginnt, hat dieses Werk von Cavalli vor zwei Jahren in Venedig, in einer Interpretation durch die Vir-tuosi unter Leitung von Renato Fa-sano gehört und beschlossen, eine eigene Realisation vorzunehmen. Die Partitur Cavallis ist ja nur ein zweistimmiges (Sopran und Baß) Stenogramm und es entspricht der Praxis des 17. Jahrhunderts, daß der Dirigent auch seine eigene Instrumentierung schafft. Das mußte den Komponisten Hirsch aus der Reserve locken und er hat — summa summarum — eine recht bemerkenswerte Fassung erarbeitet, wenn man auch bisweilen die Kontraste zwischen Lyrischem, Poesievollem und Dramatischem vermißt. Vor allem die beiden ersten Akte kranken etwas an einem gleichbleibenden Mezzoforte, das zur Monotonie neigt, zumal ja die Harmonisierung und die Modulationstechnik in sehr begrenzten Regeln gehalten ist. Der 3. Akt ist ihm jedoch besonders gut gelungen, auch wurde er hier dirigentisch freier und fand — vom Cembalo aus dirigierend — zur Gestaltung. Es galt ja an diesem ersten Abend der „Nymphenburger Sommerspiele 1973“, ein neues Instrumentalensemble vorzustellen: Das Kammerensemble des Bayerischen Staatsorchesters, von GMD Prof. Wolfgang Sawallisch initiiert, mit dem Ersten Konzertmeister Ingo Sinnhoffer und durchwachsen von einigen Herren der Münchner Philharmoniker. Es ist ein sehr gutes Ensemble, von dem man sich beachtenswerte Leistungen erwarten darf.

Die Besetzung der teilweise äußerst schwierigen Vokalpartien war durchaus zufriedenstellend. Die Sänger beherrschten den Stil des Af-fettuoso ausgezeichnet, forcierten aber teilweise sehr, mit der rühmlichen Ausnahme von Lilian Sukis (Glori) und Heiner Hopfner (Hippar-co), die auch dem Belcanto zu seinem Recht verhalfen. Rüdiger Wohlers war in der Titelrolle des Egisto zu hören, Nikolaus Hillebrand als Lidio, Hildegard Heichele als Amor und Kehko Kawata als Venus. Im 3. Akt machte Trudeliese Schmidt in der Rolle der Glimene nachdrücklich auf sich aufmerksam. Der Jubel war außerordentlich, das Interesse an der Musik des frühen 17. Jahrhunderts ist stärker denn je.

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