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Das Fest beginnt

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Das Donaufestival Niederösterreich, in diesen Tagen eröffnet, ist Spiegel unserer Zeit. Das wird im Vergleich mit anderen, seit Jahrzehnten bekannten Kulturfesten Europas erkennbar. In Bayreuth fand der Geniekult, die Traditions- und zugleich Zukunftssuche des neu erwachten Deutschtums einen Kristallisationspunkt im Werk Richard Wagners. Salzburg stand nach dem Willen von Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt im Zeichen jenes mit dem mediterranen Raum verbundenen christlichen Humanismus, den die Gründer des Festes in der Idee Österreichs verkörpert sahen. Die Biennale zu Venedig sollte ein Umschlagplatz und eine Leistungsschau der jeweils neuesten Kunst sein: in diesem Anspruch ist die große handelspolitische Tradition der Serenjssima ebenso zu spüren wie die. in der Zwischenkriegszeit herangereifte Idee eines neuen Weltbürgertums.

Daß Feste dieser Art mitunter in voller Blüte bestehen bleiben können, hat nicht nur mit ökonomischen und kulturpolitischen Interessen oder mit der Langlebigkeit geistiger Traditionen zu tun. Im Fest kommt spirituelles Streben zum Ausdruck. Es entspricht einer Sehnsucht, die dem Menschen immanent ist.

Diese Spiritualität trug bereits in den ersten Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens mythisch-magische Züge. Sie verband die Gemeinschaft mit der Gottheit in der Hoffnung, das ewige Leben des Volkes und in ihm jedes einzelnen Freien zu sichern. Der Blick war nach oben auf das metaphysische Dasein, nach vorn auf das physische Sein und nach innen auf die eigenen durch das Fest befreiten Seelenkräfte gerichtet.

Auch in der äußeren Form mancher christlicher Feste leben Kultformen des Imperium Romanum. Neu und entscheidend war, daß christliche Feste den „katholischen“, den allumfassenden Glauben verkünden und sich in ihnen die Menschwerdung Gottes verdichten sollte. Dieser metaphysische und zugleich moralische Qualitätssprung gab und gibt dem christlichen Fest seine einzigartige Bedeutung.

Erst in der Renaissance löste sich ein neuer Typus des Festes endgültig aus dem sakralen Bereich. In ihm kam der Wunsch nach Verherrlichung des Monarchen oder der eigenen humanistischen Gesinnung zum Ausdruck; bald zeigten sich Berührungspunkte mit dem Naturkult bäuerlicher Volksfeste. Mit dem Bürgertum kam es dann zur Säkularisierung; auch trat der Künstler als Träger eines eigenen Berufes und mit dem Anspruch hervor, ein Berufener zu sein. Damit waren, durch die Kommerzialisierung des Kulturgeschehens, die Bedingungen zur Entstehung unserer gegenwärtigen Festivals gegeben.

Das Donaufestival in Niederösterreich spiegelt unsere Zeit, indem es ein Fest der Plurali-tät ist. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen nicht Ereignisse, die für die gesamte Sozietät verbindliche Maße setzen oder ganz bestimmte Gruppen Gleichgesinnter versammeln wollen. Hier spürt man den Geist einer freien, freilich auch in unzählige Gruppen und Grüppchen zersplitterten Gesellschaft. Wer den Tag der Eröffnung des Festivals in Krems und anschließend die Fahrt all der Gäste auf dem Deck des Schiffes „Prinz Eugen“ von Melk nach Dürnstein miterlebte, konnte dieses Streben nach Pluralismus am Beispiel der Darbietungen begreifen.

Der Nachmittag war strahlend. In Buden, auf Podien oder einfach auf der Straße produzierten sich in Krems Clowns, Pantomimen, kleine Schauspielgruppen

manchmal traditionell, ein anderes Mal höchst eigenwillig; neben ihnen musizierten Trachtenkapellen. Bei der Eröffnungsfeier spielte man nicht nur Haydn und Mozart, sondern auch eine Kom-* Position des Niederösterreichers Theodor Berger und rezitierte literarische Texte donauländischer Autoren, und zwar zweisprachig, also auch auf tschechisch, ungarisch, serbisch, rumänisch und bulgarisch. In der ehemaligen Kremser Minoritenkirche konnte das Publikum auf dem Bildschirm einen in feuerfester Kleidung auftretenden Herrn betrachten, der kleine, linear angeordnete Häuflein eines leicht entflammbaren Stoffes - aufgrund gewiß interessanter ästhetischer Erwägungen — zur Explosion brachte, während durch die schönen Gäßchen von Stein Mitglieder einer Rockgruppe dahinzogen und in den Räumen der ehemaligen Tabakfabrik junge Künstler ihre meistens kargen Rauminstallationen zwar nicht erläuterten, aber als Zeichen eines eigentümlich hermetischen Lebensgefühls präsentierten.

Die „Prinz Eugen“ aber fuhr durch eine in dieser Nacht surreal wirkende Szenerie alten Brauchtums: an den Ufern des Stromes schlugen die Flammen der Johannisfeuer in die Höhe; oben auf den Weinbergen brannten Tausende von Fackeln.

Während der nächsten Tage und Wochen des Donaufestivals wird sich der Pluralismus des Festes noch weiter entfalten: durch unterschiedliche Darbietungen auf verschiedenen und verschiedenartigen Schauplätzen, auch in der Beratung von Gelehrten und Autoren aus zwölf Ländern in Melk über die Möglichkeiten neuer geistiger Verbindungen in der Donauregion.

Es wird freilich erst nach dem Ende des Festivals, Mitte Juli, möglich sein, über das Wesen dieser Vielfalt ein erstes Urteü zu bilden. Daß hier das neue, unserer Zeit gemäße Modell eines Kulturfestes entstanden ist, steht außer Zweifel.

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