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Das fünfte Evangelium

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Am Schluß steht die Bemerkung: „Es braucht wohl nicht darauf hingewiesen zu werden, daß es sich bei diesem Werk um eine reine Erfindung handelt, und daß selbst die genannten Quellen entweder nur vorgetäuscht (so der Großteil), oder mit der größten Freiheit angepaßt wurden.“ Dieser Hinweis ist notwendig, denn man liest sich mit solcher Faszination in

dieses Buch hinein, daß man das Gefühl hat, nun selbst auf die Suche nach diesem „fünften Evangelium“ gehen zu müssen, von dem es heißt, „daß, wie die Menschen früher unter dem Gesetz oder dem Alten Testament standen und danach unter der Gnade oder dem Neuen Testament, das dritte Stadium des neuesten Evangeliums die Liebe sein wird“ und „daß die vierkanonischen Evangelien gerade genügten, um eine Kirche zu gründen, daß aber mit dem fünften und kommenden das Reich Gottes errichtet wird.“

Dieses fünfte Evangelium ist nichts Fertiges, es tauchen wohl immer wieder 'Zitate daraus auf -wie das Wort Christi: „Vater, ich habe sie alle gerettet!“ -, im Ganzen ist es aber ein Werdendes, worin „das Erscheinen jedes neuen Heiligen einen weiteren Schritt zur Kundgebung jenes Evangeliums bedeutet, und jede gute Tat ein weiterer Vers ist, der dazu geschrieben wird.“

Die literarische Form, die Mario Pomilio wählt, ist eine meisterhafte Folge von Dokumenten, Legenden, Erzählungen, Briefen, von Studenten zusammengetragen, die mit ih-

rem Professor an einem Forschungsauftrag zur Suche des fünften Evangeliums arbeiten.

Die Suche nach dem neuen Evangelium zeigt sich als die große Erwartung, die als Konstante die Geschichte des Christentums durchzieht, „daß jedesmal, wenn das Evangelium in einen Katechismus überzugehen scheint oder Gefahr läuft, in einer Kultur aufzuge-

nen, irgendetwas erfolgt, das es zurückholt und danach strebt, es wieder zur Botschaft werden zu lassen.“

Der Professor selbst bekennt sich als Agnostiker, als ihn der Zufall auf die Fährte des fünften Evangeliums setzt. „Nun kommt es mir, je mehr ich darüber nachdenke, immer unwahrscheinlicher vor, daß der hebe Gott eine solche Luftspiegelung zugelassen haben soll, nur um eine einzige kleine Seele an sich zu ziehen.“ Daß dieser Zweck erreicht wird, geht aus einer Erzählung hervor, die im Nachlaß gefunden wird, und in der einem Pilger auf der Suche nach dem fünften Evangelium die Worte gesagt werden: „Trage Sorge, Christus zu begegnen, dann hast du das fünfte Evangelium gefunden.“ Pomilios Roman ist keine Phantasterei, es ist die Aufforderung, das Evangelium neu zu entdecken, neu zu leben.

DAS FÜNFTE EVANGELIUM, von Mario Pomilio, Roman, übersetzt von Madeleine Win-disch-Graetz, Verlag Otto Müller, Salzburg 1977, 320 Seiten, öS 210,-.

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