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Das Mittelalter wird lebendig

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Manche Ausstellungsstücke sind so kostbar, daß sie die Leihgeber selbst in die Vitrinen stellten, wie die goldenen Grabbeigaben von Erzbischof Poppo aus Trier; andere sind kurios und einmalig, denn je alltäglicher, umso schwieriger waren sie zu beschaffen: Wer hebt schon mittelalterliche Schuhe auf? Und doch sind solche zu sehen. Man fand sie 1979, vom Wasser eines Brunnens konserviert, in Klosterneuburg.

Vorweg gesagt: Die niederösterreichische Landesausstellung 1981 vermag es wieder, den Besucher zu faszinieren, ja, ihn miteinzubeziehen. Sei es, daß er wie ein mittelalterlicher Mönch an einem gotischen Schreibpult schreiben darf, mittelalterliche Musik hört, daheim dann mittelalterliche Kochrezepte ausprobiert, oder daß die Kinder Kuenringer-Malbücher bemalen und nach Ausschneidebögen Kuenringer- burgen basteln.

Was da ein junges und ambitioniertes Wissenschafterteam unter Leitung von Herwig Wolfram, Karl Brunner, Falko Daim aus aller Welt, aber auch aus den verstecktesten Heimatmuseen zusammengeholt hat, das ist so interessant und vielfältig, so lebendig gemachte Geschichte, daß man tatsächlich ver-samte Volk, wie Adel, Bürger und Bauern im Mittelalter lebten.

Den Topfhelm (aus Rom), die Kettenhaube (aus Edinburgh) gibt es nur einmal auf der Welt. In dem Turniersattel (aus Regensburg) steckte der Rit ter wie in einem Futteral, er deckte ihn vom Fuß bis zur Brust. Der Panzerkragen war eine Art Wetterfleck aus Eisengeflecht.

Damen dürfen sogar - mit Abt Bertram Baumanns Erlaubnis-diesmal einen Teil der Klausur betreten: das ba- rockisierte Refektorium. Dort sieht man etwa die „Bärenhaut“, das Buch, in dem die Gründungsgeschichte Zwettls durch die Kuenringer festgehalten ist (nach dem Schweinsledereinband so genannt, ein Eber hieß damals „Saubär“). Dann den frühgotischen Abtstab und das wunderbare Reliquienkreuz, aber auch eine liebreizende Madonna aus Elfenbein.

Das Calefactorium war einst der einzige beheizbare Raum und zugleich Schreibstube. Mit klammen Fingern konnten selbst die harten Zisterzienser- mönche des Mittelalters keine Kodizes schreiben. Köstlich neben Schreibzeug und Schreibstoff auch eine mittelalterliche „Nietbrille“, eine Art „Zwicker“ aus Holz, die man 1953 eingeklemmt in einem uralten Buch in Wienhausen, Sachsen, aufgefunden hat.

Man versäume natürlich nicht, einen Blick in das weltberühmte Necessa- rium, die romanische Latrinenanlage, zu werfen!

Ein Höhepunkt ist dann, wie man im „Siebenstockkeller“ die Bauern des Mittelalters dokumentiert. Man lächelt wohl über den Findigen, der die Beinröhre eines gotischen Harnisches zur Maisraspel umfunktionierte - und hört mit Staunen, wie viele „abgekommene Orte“, „Wüstungen“, verödete Kirchen es im Waldviertel gibt, sieht Modelle der von Mittelalterarchäologen ausgegrabenen Dörfer.

Von der Kleidung bis zum Spielwürfel, zu Magie und Astronomie, auch bei Bürger und Adel: Wie köstlich etwa der „Püsterich“, ein Feueranblaser, oder die „Natternzungen-Kredenz“, die Gifte erkennen sollte.

Das alles und noch viel mehr sieht man in über tausend Vitrinen mit zum Teil eigener Klimaanlage - und vor dem beeindruckenden Hintergrund der wuchtigen romanischen Hallen desCel- lariums, des Einstützenraumes mit seiner tiefen Symbolik von der einen wahren Kirche; dem Kreuzgang, dem grandiosen Kapitelhaus, dem ältesten erhaltenen der Zisterzienser, der Kirche und ihrem schwergranitenen barocken Turm. Er grüßt dunkelgrau über den frisch renovierten fröhlichen Abteihof; in ihm ist hoch oben unter dem Glok- kenfenster die Tumbawand eines Kuen- ringergrabmals eingemauert, Symbol auch hier für ein Geschlecht, das mithalf bei der Landwerdung Österreichs.

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