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Revolte der weißen Mönche

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Heute führen die Jünger der Lehre von Citeaux und La Trappe als Mönche ein stilles, zurückgezogenes Leben abseits vom Getriebe der Welt, wie es die Zisterzienser seit vielen Jahrhunderten taten. Und ihr bescheidenes Los läßt fast vergessen, daß der Orden des heiligen Robert einst, im 12. Jahrhundert, eine geradezu revolutionäre Erscheinung war. Der größte Sohn dieses Ordens, Bernhard von Clairvaux, genial und voll von Widersprüchen, stellt alle seine bedeutenden Zeitgenossen — viele davon waren seine Gegner — in den Schatten. Die Mönche von Cluny, die in mehr als zweitausend Abteien ihre prunkende Liturgie feierten und zwei Jahrhunderte lang das kirchliche Leben des Westens beherrscht hatten, waren „altmodisch“ geworden. Die Zeit war mit den weißen Mönchen, die in ganz Europa von Alcobaca in Portugal bis Koprzwynica in Polen ihre wuchtigen Abteien errichteten. Die Spuren ihrer intensiven Bautätigkeit sind noch überall zu finden: hier ein zur Gänze erhaltenes Kloster, dort nur eine Kirche, andernorts eine eindrucksvolle Ruine oder eine zufällig aufbewahrte Grundrißzeichnung. Aber all dies zeugt von der ungeheuren Vitalität des Zisterzienserordens.

Und mit wahrer mittelalterlicher Mönchsgeduld hielt der holländische Kunsthistoriker Prof. Dr. Frits van der Meer von der Universität Nijmegen die geschichtliche Ausbreitung der Zisterzienser im Kartenbild fest. Ein prachtvoller „Atlas de l’orde citercien“ (erschienen im Verlag Elsevier, Amsterdam) ist das monumentale Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit.

Durch vergleichende Forschungen an Hand alter Atlanten stellte Professor van der Meer alle jene Orte fest, in denen sich mittelalterliche Zisterzienserabteien befanden und schuf so die Grundlagen für die dreizehn Landkarten im Atlas des Zisterzienserordens. Im Verlauf des Studiums sowohl bekannter als auch bisher unbearbeiteter Quellen konnte der Wissenschaftler aus Nijmegen die Existenz von mehr als 2600 Niederlassungen nachweisen — Abteien, Frauenklöster, Gutshöfe. 878 Photos geben ein sehr deutliches Bild der Monumente, die die weißen Mönche hinterließen. Dennoch ist der Atlas kein Bildband im strengen Sinn des Wortes, sondern ein historisches Werk, das sich ebenso an den Fachmann wie an den interessierten Laien wendet.

Wir kennen das 12. Jahrhundert als die Epoche der französischen Kathedralen, doch für die weißen Mönche war dieser Zeitraum die Epoche von Citeaux. 1098 stiftete Robert, Abt von Molesme, mit einundzwanzig Gefährten in Citeaux, einem öden Landstrich Burgunds, ein neues Kloster, um dort die Regeln des heiligen Benedikt in all ihrer Strenge zu befolgen. In den glanzvollen Abteien von Cluny merkte man nur mehr wenig von der klösterlichen Einfachheit und Armut. Prunk und Pomp entfalteten sich in den reich gezierten großen Kirchen (die Kirche von Cluny war die größte der mittelalterlichen Christenheit). Abt Robert und seine Mitbrüder aber wollten die Regeln des heiligen Benedikt im ursprünglichen Sinn des Wortes erfüllen: ein Leben in Einsamkeit, Stillschweigen und Armut, der körperlichen Arbeit und der Vereinfachung der Liturgie gewidmet. Der neue Orden nahm einen gewaltigen Aufschwung — was in Cluny Mißfallen, ja sogar Feindschaft erregte.

„Ein Heiliger ohne Rücksichten“

Nach der Stiftung von Citeaux folgten rasch die vier anderen „Mutterabteien“: 1113 La Fertė, 1114 Pon- tigny, 1115 Clairvaux und Morimond. Im Jahr 1153, fünfundzwanzig Jahre nach der Gründung des ersten Klosters, gab es insgesamt 343 Abteien! Aus allen Windrichtungen strömten junge Edelleute herbei, um ein Leben äußerster Askese zu führen — im 12. Jahrhundert belief sich die Zahl der Zisterziensermönche auf 80.000. In den Klöstern wurde weder Fleisch noch Fisch gegessen, auch Eier und Milchprodukte waren verpönt, die Brüder nährten sich nur von Gemüse, Bohnen, Brei und derbem Schwarzbrot, ihr Trunk war das Wasser. Sie schliefen voll angeklei det auf Strohsäcken und rasierten sich nur siebenmal im Jahr. Der Mann, der einerseits durch sein großes Vorbild und anderseits durch seine Geistesgaben und seinen Glaubenseifer den Orden „populär“ machte, war Bernhard von Clairvaux — ein „universelles Genie und ein Heiliger ohne Rücksichten“, wie ihn van der Meer in der Einleitung zum Zisterzienseratlas nennt.

Das hervorstechendste Merkmal des Geistes von Citeaux war Strenge und Kargheit. In den Jahr für Jahr aufgestellten Statuten findet man viele Hinweise darauf. „Wir verbieten, in unseren Kirchen und den Räumen des Klosters gemalte, geschnitzte oder aus Stein gehauene Bildwerke anzubringen. Denn oft vergessen jene, die sinnfällige Bilder ansehen, die Forderung nach wahrer Kontemplation, und dies tut der klösterlichen Zucht Abbruch. Doch wir haben Holzkreuze.“ Uber die Paramente und Meßgewänder heißt es: „Keine Seide für die Altartücher ... keine farbigen Kasein.“ In den Manuskripten mußten „die Initialen einfarbig sein“ und durften „niemals mit Figuren verziert“ werden.

Konzeption des modernen Kultraumes

Es war auch dieser Geist der Einfachheit, der der Zisterzienserarchitektur ihr ureigenes Gepräge gab. Der Grundriß der Abteien war bene- diktinisch, doch er wurde mit äußerster Konsequenz durchgeführt. Die asketischen Mönche erbauten sich asketische Abteien. Die Kirchen waren kahl, ohne Bilder oder farbige Ornamente. Van der Meer schreibt: „Die Zisterzienser haben den Sinnen . nichts geboten, am wenigsten in der Kirche selbst... Aus diesem fundamentalen Gedanken — und wie beziehungsreich für uns moderne Menschen! — ist die Konzeption eines Heiligtums geboren, wo nichts. ,zu sehen ist als die sakramentalen Symbole und die versammelten Brüder, die nach einer unvergeßlichen Regel wirken.“ Selbst später, als die ursprünglich gültigen Grundsätze an Bedeutung verloren und die einst verworfenen Zierate auch in die Zisterzienserkirchen Eingang fanden, bewahrten die Mönche noch immer ein sicheres Gefühl für Maß und Zurückhaltung. f

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