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Denkmal des Glaubens in Stein

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Genau 152 Zementquader türmen sich auf dem St. Georgenberg in Mauer zu einem der imposantesten Sakralbauten der Gegenwart: Die von Fritz Wotruba entworfene „Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ wird vielleicht bald in einem Atem mit der Kapelle Le Corbusiers in Konehamps und der Autobahnkirche an der Autostrada del Sole bei Florenz als einer der Wendepunkte in der neuesten Kirchenbaukunst zitiert werden. Wenn Erzbischof Jachym an diesem Wochenende das Gotteshaus weiht und Kardinal König die erste Eucharistiefeier darin zelebriert, erhält die Kirche von Wien damit ein künstlerisches Denkmal ersten Ranges.

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Genau 152 Zementquader türmen sich auf dem St. Georgenberg in Mauer zu einem der imposantesten Sakralbauten der Gegenwart: Die von Fritz Wotruba entworfene „Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ wird vielleicht bald in einem Atem mit der Kapelle Le Corbusiers in Konehamps und der Autobahnkirche an der Autostrada del Sole bei Florenz als einer der Wendepunkte in der neuesten Kirchenbaukunst zitiert werden. Wenn Erzbischof Jachym an diesem Wochenende das Gotteshaus weiht und Kardinal König die erste Eucharistiefeier darin zelebriert, erhält die Kirche von Wien damit ein künstlerisches Denkmal ersten Ranges.

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Die Kirche Wotrubas auf dem St.-Georgenberg könnte ein Symbol dafür sein, daß die spätestens mit der industriellen Revolution eingetretene Entfremdung zwischen Kunst und Kirche nicht unüberwindlich ist. Zwar sind in den drei Jahrzehnten seit dem Ende des zweiten Weltkrieges in Österreich mehr Kirchen gebaut worden als je zuvor seit der Barockzeit. Aber die Beschränktheit der finanziellen Mitteln erlaubte es nur in den seltensten Fällen; Wettbewerbe auszuschreiben und große Künstler für die Aufgabe des Kir-. chenbaus zu interessieren.

In den fünfziger und sechziger Jahren bis herauf zur unmittelbaren Gegenwart ging es zunächst darum, den Nachholbedarf an Kirchen zu decken. Die städtischen Siedlungen hatten sich ausgeweitet, der Trend zum Bau neuer Stadtviertel am Rand des gewachsenen städtischen Raums verstärkte sich noch in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Kirche an sich — auch in Wien — gezwungen, den Menschen „nachzugehen“, in den Betonghettos am Stadtrand Bauwerke zu schaffen, die „Orte der Begegnung zwischen Gott und den Menschen sein können“. Daher wurden allein in der Erzdiözese Wien zwischen 1945 und 1976 58 neue Pfarrkirchen, 89 neue Orts- oder Filialkirchen, 13 Gemeindezentren und 32 Notgottesdienststätten errichtet, 29 Kirchen wurden erweitert, 17 wiederaufgebaut.

Die „Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ ist dagegen aus der privaten Initiative einer Frau gewachsen: Dr. Margarete Ottilinger, die in einer Zeit der Gottesferne ein sichtbares Symbol für die Unüberwindbarkeit des Glaubens setzen wollte. Ursprünglich hatte. Margarete Ottilinger, die nach ihrer Verhaftung durch die sowjetische Besatzungsmacht sieben Jahre auf dem „Archipel Gulag“ zubringen mußte, einen Karmel geplant. Doch das Projekt zerschlug sich, nur das Herzstück des Karmels, die von Wotruba als eine „Stadt auf dem Berge“ entworfene Kirche, sollte verwirklicht werden.

1964 war Margarete Ottilinger zum erstenmal mit Wotruba zusammengetroffen; der Chef der Wiener Caritas, Prälat Unger, hatte sie zusammengebracht. Es war nicht so selbstverständlich, daß ausgerechnet Wotruba, der politisch links engagierte, der Kirche entfremdete Künstler, ein Gotteshaus bauen sollte. Seine erste Reaktion war auch abwehrend, aber Margarete Ottilinger vermochte den Widerstrebenden zu überzeugen.

Schon zuvor hatte Wotruba einmal ein sakrales Kunstwerk geschaffen: 1956 ein Kruzifix in Zement für die Außenwand der Pfarrkirche in Salz-burg-Parsch. Während der Vorbereitungsarbeiten für die „Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ sind dann noch weiter sakrale Kunstwerke von der Hand Wotrubas entstanden:

•1965 ein als Bronzerelief ausgeführtes Kruzifix;

•1966 Altar und Ambo, Leuchter und Tabernakel für die St.-Michaels-kirche in Luzern;

•1968 ein bronzenes Kruzifix für die Schloßkirche im badischen Bruchsal (ein Abguß dieses Werks ist auch der einzige Schmuck der Kirche in Mauer).

Der Passionistenpater Tito Amodei, der im Vorjahr eine Ausstellung über „Wotruba und die sakrale Dimension“ in Rom veranstaltete, betonte damals: „In Anbetracht seines umfangreichen Gesamtwerkes hat Wotruba nicht viele Werke für Kirchen geschaffen, die aber alle bedeutsam und vorbildlich sind. Der Name Wotruba ist eine beispielhafte Bestätigung dafür, daß sich die Widerstände traditionalistischer Art, die in einem weiten religiösen Bereich noch bestehen, nur mit Werken von höchster Qualität überwinden lassen ... Das von Wotruba bevorzugte Material, der Stein, zwingt ihn fast dazu, seine künstlerische Sprache auf die ursprünglichen und tiefen Erscheinungen des Lebens zu reduzieren; wenn sich die wahre religiöse Kunst vor aller Verlogenheit hüten muß, dann könnte sie in der Formensprache dieses Bildhauers ihr Vorbild finden.“

Kein Zweifel, das Ringen dieses Künstlers — der sich die Kathedrale von Chartres zum Maßstab seiner Arbeit genommen hatte — um den Glauben fand auch im Kampf um die Dreifaltigkeitskirche seinen Ausdruck. Denn bis das an seinem höchsten Punkt 14,20 Meter hohe archaisch wirkende Gotteshaus auf dem St.-Georgenberg fertiggestellt war, gab es Schwierigkeiten über Schwierigkeiten zu überwinden.

Zunächst hatte alles viel einfacher ausgesehen. Kardinal König stiftete ein Grundstück für den Bau des damals noch geplanten Dreifaltigkeits-karmels in Steinbach bei dem durch seine alte Kartause bekannten Wienerwaldort Mauerbach. Ein Verein wurde gegründet, um den Bau zu finanzieren, in dem Kardinal König von Anfang an Ehrenmitglied war und in dessen Kuratorium der Kardinal auch Wiens „Baubischof“ Jachym berief. Das Karmelkloster in Oberbaumgarten stellte drei Schwestern unter Führung von Mater Maria Cordis (die Dichterin Oda Schneider) für die Neugründung ab. Wotruba wählte den Architekten Fritz G. Mayr, der bei ihm an der Kunstakademie gearbeitet hatte, um seine künstlerischen Modelle in gebaute Architektur umsetzen zu lassen.

Doch das Projekt des Dreifaltig-keitskarmels in Steinbach konnte nicht verwirklicht werden. Das Grundstück erwies sich als nicht geeignet, wasserlos, der Untergrund war Rutschgelände. Außerdem stand das Projekt im Kreuzfeuer der Kritik von vielen Seiten, angefangen von den Architekten bis hin zu prinzipiellen Gegnern Wotrubas. Schließlich mußte 1969 von der Verwirklichung der ursprünglichen Idee eines Karmels Abstand genommen werden. Aber wenigstens die Kirche sollte gebaut werden. Es gab verschiedene Überlegungen, die Dreifaltigkeitskirche nach dem Plan Wotrubas als Pfarrkirche oder als Kirche mit Meditationszentrum zu errichten.

Die Stadt Wien bot Bauplätze an, aber alle irgendwo „am Rande“. Kein markanter Punkt war darunter, wie er Fritz Wotruba für „seine“ Kirche vorschwebte. Margarete Ottilinger erzählt heute, wie empört Wotruba über die angebotenen Bauplätze war: „Neben Tankstellen, in der Nähe von Hinterhöfen, zusammengequetscht, an Verkehrsinseln. Unfaßbar, wohin will sich denn diese Kirche noch verkriechen, ohne zu kämpfen?“

Erst im September 1970 konnte der „richtige“ Platz gefunden werden: Auf dem St.-Georgenberg in Mauer, ein Areal in Bundesbesitz. Schon damals bestanden Pläne, in diesem Bereich ein großes Schulzentrum zu errichten. Das ließ diese Variante noch günstiger erscheinen: Ein zukunftsweisender Kirchenbau an der Schwelle zum 21. Jahrhundert als spirituelles Zentrum für viel Jugend.

Doch gab es Widerstände, weil von dem 300.000 Quadratmeter großen Bundesgrundstück fast 5000 Quadrat-, meter für den Bau einer Kirche „abgetreten“ werden sollten. Erst im Dezember 1972 kam der Mietvertrag zwischen Bund und Erzdiözese Wien zustande. Und wieder dauerte es fast zwei Jahre, bis die erste Bauverhandlung angesetzt werden konnte. Am 24. Juli 1974 wurde die Baugenehmigung erteilt, wenig später begannen die Bauarbeiten.

Wuchtige Zementblöcke, insgesamt 4000 Tonnen schwer, wurden als Material für die Kirche gegossen. Ursprünglich war daran gedacht gewesen, Steinblöcke zu behauen, aber Fritz Wotruba, der ständig den Bau selber überwachte, entschied sich dafür, nur die einfachste Form, das gängigste Material, Zement, Stahl, gewöhnliches, nicht gefärbtes Glas zu verwenden.

Die Baukosten — Wotruba hatte ohne Entgelt gearbeitet — trug zum größten Teil der Verein, die Erzdiözese Wien beteiligte sich nur mit den üblichen fünf Millionen, die eine „normale“ Seelsorgestation gekostet hätte, auch öffentliche Mittel wurden zur Verfügung gestellt.

Nun steht die herbe, asymmetrische Kirche als Denkmal des Glaubens in der künstlerischen Sprache unserer Zeit am Stadtrand Wiens. Vielleicht wird es auch um dieses Gotteshaus „Mißverständnisse“ geben. Aber wie schrieb doch der „Osservatore Romano“ in einem halbseitigen Kommentar zu der zitierten römischen Wotruba-Ausstel-lung: „Die Transzendenz im Werk Wotrubas wächst aus einer bewußt gewählten und der Überlegung unterworfenen Einfachheit, die unserer dem Vollendeten und Allzulieblichen feindlich gesinnten Zeit entspricht.“

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