6986074-1986_26_23.jpg
Digital In Arbeit

Zu Gast bei Marian

Werbung
Werbung
Werbung

Heute verkriecht sich alles in den eigenen vier Wänden, auch die Künstler kapseln sich ab, jeder geht seiner Wege — vorbei sind die Zeiten der Stammtische, der Kaffeehausrunden, der „Salons“. Das war in den unmittelbaren Nachkriegsjahren anders: Uberall tat man sich zusammen, um gemeinsam Wege aus dem Chaos zu suchen, einander über die allgemeine Not hinwegzuhelfen. Eine der berühmtesten Adressen im Wien jener Zeit lautete Seilergasse 4, Telefon: R 27-119. Die Wotrubas.

Der schon damals international renommierte Bildhauer Fritz Wotruba und seine Frau Marian wa-

ren aus der Schweizer Emigration nach Österreich zurückgekehrt, und da ihm im strengen Nachbarland nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Verkaufserlaubnis erteilt worden war, erfreuten sie sich inmitten des allgemeinen Elends eines gewissen Wohlstandes, an dem man nun, wieder daheim, die neuen Freunde, die sich einem zugesellten, teilhaben lassen konnte. Der Schriftsteller Ulrich Becher (mit Wien nicht nur seiner Frau wegen, einer Tochter < des Kollegen Roda Roda, eng verbunden) stieß 1948 zu dieser Runde; er berichtet darüber:

„Marian widmete sich mit einem Schwung, in dem viel künstlerische Improvisation steckte, dem Aufbau eines Wiener Zentrums, um nicht zu sagen Salons.“ Zu diesem „unbürgerlichen Mittagstisch, zu dem nicht formell eingeladen wurde“, durfte sich einfinden, wer wollte, und man „fand sich ein, bisweilen en mas-se“. Ulrich Becher nennt an Namen Gottfried von Einem, Franz Theodor Csokor, Helmut Qualtinger, Ernst Fuchs, den Dramatiker Helmut Schwarz, den Bildhauer Wander Bertoni, den Arbeiterdichter Kobalek, den Regisseur Erich Neuberg, die jungen Leute von der frischgegründeten Studentenbühne in der Kolingasse.

„Marians Gastfreundschaft und Protegier-Unternehmungs-freude kannte keine Grenzen. Sie fahndete nach einem Verleger für den Nicht-nur-Lyriker Theodor Sapper. Man konnte bei ihr speisen, das Geld für eine Wäscherechnung ergattern, sich rasieren oder die Haare schneiden lassen. Denn alle vierzehn Tage kam ein Friseur ins Haus, um den Meister zu scheren und zu barbieren.“ In jeder Situation wußte sie Hilfe: ob man Lebensmittelkarten benötigte oder „Verbindung zu einer alliierten Kulturinstanz“, ob man Klavierstunden geben wollte oder einen Gegenstand auslösen, den man ans Dorotheum verpfändet hatte.

Aber natürlich stieß auch die „Leistungsfähigkeit“ der Wotrubas an Grenzen. Ulrich Becher erinnert sich, wie er einmal die Frau des Hauses entsetzt ausrufen hörte: „Um Himmels willen — unsere Kasse ist leer!“

Daß sich der von der Wotruba-„Perle“, einer exzellenten tschechischen Köchin, bereitete Mittagstisch in der Seilergasse (durchschnittliche Zähl der hungrigen Mäuler: zwanzig) nach 1950 langsam aufzulösen begann, lag jedoch weder an etwa schwindender Gastlichkeit der Gastgeber noch am allmählich steigenden Lebensstandard, sondern am Ausfall der Hauptperson: Marian Wotruba, von deren „zeitlos faszinierender“ Erscheinung Ulrich Becher insbesondere das „früh-hellenistisch-naxische“ Profil in Erinnerung hat, erkrankte. An Krebs. 1951 starb sie, nur 46 Jahre alt. Wotruba arbeitete gerade an

einem seiner Meisterwerke: der Steinplastik „Große Liegende“. Jeder Eingeweihte wußte, wie's gemeint war, und der Künstler selber bestätigte es später in aller Offenheit: „Die Krankheit kam hinein.“

Der Wiener Fritz Wotruba und die zwei Jahre ältere Marian Fleck, die aus Düsseldorf nach Wien gekommen war, um sich hier zur Metellbildhauerin ausbilden zu lassen, lernten einander 1926 in der Schule Anton Hanaks kennen; 1929 wurde geheiratet. Wotruba stand politisch links, seine Frau war Jüdin — schon 1934, im Zuge der Februar-Unruhen, suchten sie vorübergehend in der Schweiz Zuflucht. Und erst recht von 1938 bis 1945. Robert Musil, der zu den engsten Gefährten im Exil zählte, schrieb über sie in seinen Tagebüchern:

„Marian, das Mädchen aus wohlhabendem Haus, das die Ge-

fährtin des um zwei Jahre jüngeren, noch in der Kunstgewerbeschule befindlichen Fritz wird und in sein Elternhaus zieht, bei den Schwestern schneidern lernt und so beiträgt. Sie hat seinen Aufstieg von da an mitgemacht, wo er fast noch Lehrbub war. Sie hat das Leben seiner Familie geführt und das seiner Freunde.“

An Wotrubas Heimkehr im Jahr 1945 — die Bahnfahrt im Zug nach Wien dauerte damals 45 Stunden! — hatte sein Kollege, der Maler Herbert Boeckl, den größten Anteil: Er hatte gegen mannigfachen Widerstand eine Berufung Fritz Wotrubas zur Leitung einer Meisterklasse an der Akademie der bildenden Künste durchgesetzt (der er dann bis zu seinem Tod im Jahr 1975 angehörte).

In einem Bericht über Prominente und „ihre“ Häuser darf nicht versäumt werden, auch auf das von seinem Weggefährten

Friedrich Heer subtil kommentierte Nahverhältnis Fritz Wotrubas zur Stephanskirche hinzuweisen. Sowohl sein künstlerisches Schaffen wie sein privates Leben hätten sich kontinuierlich „um diesen Dom herum aufgebaut“. Friedrich Heer in seinem großen Aufsatz über das Lebenswerk des Freundes (der sich an und für sich seit frühester Jugend von der katholischen Kirche abgewendet hatte):

„Die erste Wohnung, in der Seilergasse, war nicht weit vom Dom entfernt, mit seiner zweiten Wohnung, in der Blutgasse, rückte er dem Dom noch näher an den Leib. Dem Dom gegenüber wurde Wotruba zum Bildhauer von Statuen, die er des öfteren .menschliche Kathedralen* nannte.“ Und mit dem Bau eines von ihm selbst entworfenen „Doms“, nämlich der Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit auf dem St. Georgenberg in Mauer, so möchte man hinzufügen, steuerte das Lebenswerk dieses großen Künstlers auf einen Schlußpunkt zu, der nur für den in engen konfessionellen Grenzen Denkenden rätselhaft sein mag.

Aus dem Wien-Buch „Alte Häuser — große Namen“, das demnächst im Verlag Nieder-österreichisches Pressehaus, St. Pölten, erscheinen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung