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Der Fall Scharon

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Am 13. September 1982 wurde Beschir Gemayel, der erst 21 Tage zuvor gewählte, 32jährige libanesische Staatspräsident, bei einem Anschlag auf das Phalangisten-Hauptquartier in Ost-Beirut mit Dutzenden seiner Anhänger umgebracht.

Noch in derselben Nacht beschlossen Israels Ministerpräsident Menachem Begin und sein Verteidigungsminister Ariel Scharon den Einmarsch der israelischen Truppen nach West-Beirut. Nach einigen Scharmützeln war der Westteil der Stadt erobert.

Nur die großen Palästinenserlager Sabra und Schatilla, in der Vergangenheit Bollwerke der PLO, besetzten die israelischen Einheiten nicht, da beschlossen wurde, die Säuberung des Lagers von PLO-Anhängem den Phalan-ge-Milizen zu überlassen.

Am 15. September drangen nach Absprache mit den Israelis, einige hundert Phalangisten in die Lager, die bereits vorher von israelischen Truppen umstellt worden waren. Am 15. und 16. September richteten die Milizsoldaten in diesen Lagern ein Blutbad an, bei dem 700 bis 800 Personen, Männer, Frauen und Kinder, niedergemetzelt wurden. Nur die wenigsten davon waren PLO-Terroristen.

Das Massaker erregte in der ganzen Welt großes Aufsehen und Empörung. Auch die israelische Öffentlichkeit war über dieses Abschlachten Unschuldiger bestürzt und aufgebracht. Die Opposition in Israel verlangte die sofortige Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission, um die indirekt Verantwortlichen für diese Massaker ausfindig zu machen.

Als die israelische Regierung zögerte, eine Untersuchungskommission einzusetzen, gingen über 400.000 Israelis auf die Straße und forderten deren Einsetzung. Daraufhin wandte sich Ministerprä-

sident Begin an den Präsidenten des Obersten Gerichts, der sogleich dieser Bitte nachkam. Die Kommission begann am 1. Oktober 1982 ihre Untersuchung. Sie bestand aus dem Präsidenten des Obersten Gerichts Jizchak Ka-han, dem Oberrichter Aharon Barak und dem Reservegeneral Jona Efrat.

Am 8. Februar 1983 legten die Kommissionsmitglieder dem Ministerpräsidenten ihren Bericht

vor und betonten nochmals, daß er sich nur mit der indirekten Verantwortung befaßt habe, da Israel als Okkupationsmacht die Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung und auch für solche Untaten trage.

In diesem Bericht wird Begin getadelt, weil er den Warnungen seines Stellvertreters David Le-wy nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, sich allein auf die optimistische Berichterstattung des Verteidigungsministers und des Generalstabschefs verlassen hatte und dem Geschehen in West-Beirut gleichgültig gegenüberstand.

Uber Verteidigungsminister Scharon urteilte der Bericht: die Geheimdienste hätten zwar Scharon vor einem Massaker der Phalangisten nicht gewarnt, doch er als Verteidigungsminister hätte solch eine Gefahr voraussehen und alles zur Verhütung eines Blutbades unternehmen müssen.

Die Kommission empfahl, Scharon sofort seines Amtes zu entheben. Sollte er aber den Rücktritt verweigern, wäre der Ministerpräsident berechtigt, das Gesetz anzuwenden und ihn zu entlassen.

Kaum wurden die Ergebnisse bekannt, erklärte Scharon: „Ich trete nicht zurück. Wenn Begin will, kann er mich entlassen." Dann verteidigte Scharon seine Generäle und warnte das Kabinett davor, die Empfehlungen der Kommission durchzuführen, weil diese die Moral, das Rückgrat der Armee brechen könne. Er versuchte auch innerhalb seiner Che-rut-Partei Unterstützung für sein Weiterverbleiben als Verteidigungsminister zu gewinnen. Auch die rechtsradikale Auferstehungspartei gab ihm Rückendek-kung. Und Scharons Anhänger im ganzen Land demonstrierten.

Zur selben Zeit gingen Anhänger der „Friede-Jetzf’-Bewegung mit der Forderung nach Scharons Rücktritt auf die Straße.

Am vergangenen Donnerstag fand die entscheidende Kabinettssitzung statt. Noch waren die Ansichten im Kabinett bezüglich Scharon geteilt. Vor dem Gebäude der Kanzlei des Ministerpräsidenten in Jerusalem versammelten sich auf der einen Seite Anhänger der „Friede-Jetzf’-Bewegung, auf der anderen Scharons Sympathisanten. Plötzlich wurde eine Handgranate unter die „Frie-de-Jetzt"-Demonstranten geworfen, die hauptsächlich aus jungen Studenten bestand. Einer wurde auf der Stelle getötet, neun wurden verletzt…

Das war der erste politische Mord in Israel seit Staatsgründung 1948. Diese Nachricht besiegelte im Kabinett endgültig Scharons politisches Schicksal als Verteidigungsminister. 16 Kabinettsmitglieder stimmten für seine Entlassung, Scharon als einziger war dagegen. Vorläufig wird er als Minister ohne Portefeuille im Kabinett weiterfungieren.

Noch ist unklar, wie weit dieses Ereignis sich auf die politische Zukunft Scharons auswirkt. Denn der Verteidigungsminister versuchte oft mit unparlamentarischen Mitteln, sich gegen Begin behaupten zu können.

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