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Der Park

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Weit vor mir sehe ich jemand, der langsam über den weiten Platz geht, auf dem sich verschiedene Alleen strahlenförmig getroffen haben. Ich sehe ihn nur undeutlich in der mit feinem Wasserstaub und Nebeln erfüllten Luft, und auch weil ich jetzt diesen Blick habe, mit dem ich zwar alles, aber eben ungenau erfasse, gerade so, daß ich merke, es ist da. Schließlich ist diese für mich unhörbare Gestalt langsam grau geworden und zwischen Blätterwänden verschwunden, es wird mir bewußt, daß ich lange auf dem sandigen Parkweg gestanden haben muß, unter einem Baum, mit dem verströmenden Geräusch des Wassers um mich herum, das in hellen Regenstrichen auf die Blätter fällt.

Manchmal zerplatzen dicke Tropfen in unregelmäßiger Folge auf meinem Schirm, einmal schnell, schnell, dann langsam und in großen Abständen, dann lange nichts. Ich warte und denke — jetzt — aber es kommt nichts und ich irre mich mit jeder Erwartung. Es ist eben nicht zu sagen und doch — jetzt — es klopft und ich setze diesen ersten zufälligen Schritt, um weiterzugehen. Das Knirschen meiner Sohlen auf dem weichen, nassen Sand verliert sich in das Rauschen des Regens, so daß ich gewissermaßen, ohne mich zu bewegen, dem Platz näher komme, über den vorhin jemand gegangen ist.

Die Entscheidung, ob ich mich vorne an den Rand des Bassins stellen soll, um die unter der Wasseroberfläche schimmernden Goldrük-ken der Fische zu beobachten, oder in der Vorstellung aufgehen soll, mich gleichsam mit dem Wasserstaub in Miriaden von winzigen Tröpfchen über den ganzen Park zu verteilen, ist jetzt noch nicht gefallen, da ich noch nicht unter den Bäumen hervorgetreten bin. Es hat freilich viel für sich, überall anwesend zu sein, im gleichen Augenblick zwischen den Säulenreihen der offenen Kolonnade auf dem Hügel zu schweben, über die breite Freitreppe vor dem Schloß zu streichen, beides wahrzunehmen, sowie auch ganz dicht hinter dem Rücken desjenigen hergetrieben zu werden, den ich vorhin gesehen habe, oder mich ganz einfach auf der nassen Steinschulter einer Statue am anderen Ende des Parks niedersetzen zu lassen. Ein Hindernis dabei wäre wohl die Beschränkung meiner Aufmerksamkeit, die zwar ein geordnetes Nacheinander, aber kein klares Nebeneinander zuläßt und somit ist, während ich unter den Bäumen hervorkomme und der Regen in feinem Getrommel auf den Schirm herabzufallen beginnt, die. Entscheid dung schon gefallen.

Ich gehe also nach vorn, mit den gleichmäßigen, genauen Schritten von einem, der einen weiten Raum auszumessen hat und auf seinem

Weg kein Hindernis weiß. Ich denke, daß ich in dieser geraden Linie weitergehen, über den Rand des Bassins hinunter auf das Wasser steigen müßte und in unverändertem Tempo über die Oberfläche gehe, vorbei an der Nymphe mit ihrem ewig sprudelnden Gefäß und so auch über das Oval des Beckens auf der anderen Seite hinaufsteige, immer weiter zwischen und durch naßschwarze' Stämme und feuchtes Gebüsch, das sich vor mir zerteilt, gleichförmig diese gerade Linie verfolgend, auf den Hügel hinauf und durch die eisernen Palisaden dahinter.

Vor der Grasnarbe, die sich rund um das Bassin zieht, bleibe ich stehen und sehe zu, wie der Regen das Wasser mit Punkten und ständig sich schneidenden und auslöschenden Wellenkreisen übersät. Darunter stehen ruhig in der Nähe der schützenden breitblättrigen Wasserpflanzen die Fische, sich zu kleinen Schwärmen zusammenfächernd, hie und da leuchtet eine weiße Bauchseite auf. Es ist die Frage, ob sie mich bemerkt haben und auch wie sie mich durch das Wasser herauf am Rande des Bassins wahrnehmen. Wahrscheinlich haben sie mich schon durch die geringfügige Erschütterung, die meine Schritte auf dem Boden auslöst, gehört, möglicherweise warten sie darauf, daß etwas zu ihnen herunterfällt, das sie mit ihren weichen Lippen erfassen können. Aber ich habe nichts zu geben, außer vielleicht einen kleinen Kieselstein, mit dem ich sie nur verjagen würde.

Ich gehe langsam weiter, dorthin, wo der Regen am Rand des Platzes wieder stärker in das Blätterdach rauscht. Einer, der im Nebel oberhalb der Baumkronen wartet, könnte sagen, er hätte ein sich mäßig bewegendes Lebewesen gesehen, das sich unter die schützenden Blätterwälder der Luftpflanzen verlor. Er könnte auch sagen, er hätte darauf gewartet, daß es an einer der vielen ungedeckten Stellen dieses Luftteiches hätte sichtbar werden müssen, aber da ich diese Absicht durchschaue, ziehe ich es vor, mich unter dem sattgrün gewaschenen Laub zu verbergen.

Es ist auch so möglich, größere Entfernungen zurückzulegen, wenn ich den geschlossenen Bewuchs des Parks geschickt ausnütze. An der breiten Kies- und Grasfläche vor dem Schloß, die zwischen zwei Reihen von gestutzten Blattwänden liegt, angelangt, wische ich allerdings dieses Gesicht weg, das ja doch nur meine eigenen Züge trägt, denn es ist mir wichtiger geworden, genau jenen zentralen Punkt auf dieser Fläche zu finden, den Mittelpunkt, an dem sich die angenommenen Diagonalen kreuzen. Die exakten Abgrenzungen der Rasenflächen erleichtern die Bestimmung dieses Punktes, und während ich hinausgehe, weiß ich, daß er nur dort drüben liegen kann, wo sich die gedachten Verlängerungen zweier Wege im rechten Winkel schneiden. Hier nun ist es ein wenig schwierig, diesen Punkt auf den Zentimeter genau zu finden, es muß unbedingt stimmen, sonst wäre die Sache sinnlos. Ich orientiere mich an den Ecken der vier Rasenflächen, gehe ein wenig hin und her, bis ich das Gefühl habe, ja, jetzt, hier ist es. Ich stehe da mit meinem Regenschirm in der Mitte der weiten Fläche, der kleine, schwarze zentrale Punkt darauf und auch der des ganzen Parks, dessen symmetrische Anordnung in mir seine Konzentration erfährt. Ich empfinde den starken Bezug zu seinen Begrenzungen und ich bleibe lange da stehen, unbeweglich. Es gibt nichts, das sich innerhalb meines Sehkreises bewegt, das ist gut, denn auch der kleinste Vogel, der etwa am Rande der Fläche herumhüpft, würde das System zerstören. Ich drehe mich ein wenig, um auch den anderen Teil im Auge zu behalten, der Regen fällt in schnurgeraden Strichen, als würde er vom Himmel auf die Erde heruntergezogen und ich freue mich, denn er ordnet sich als Vertikale in das System.

Ich denke, daß dieses Spannungsfeld nicht lange mehr aufrechtzuerhalten sein wird und verlasse den Punkt im Augenblick. Mit schnellen Schritten bewege ich mich auf das große Schloßtor zu, zwischen den Steintreppen, knapp davor bemerke ich, daß der Regen langsam nachläßt, ich höre Stimmen und den Hall von Schritten unter dem Gewölbe des Durchganges. Ich schließe die Augen und stecke mir die Finger in die Ohren. Jetzt möchte ich blind zum Parktor gehen, aber ich muß jetzt stehenbleiben und höre sie doch an mir vorübergehen und auf der anderen Seite hinaus. Schnell, am besten ich gehe jetzt schnell, sonst bleibt mir nichts mehr davon. Ich fange an zu laufen und nehme noch das lang gehörte Rauschen des Regens mit mir nach Hause.

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