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Der Parkplatz

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Verzeihe, lieber Automensch, wenn ich unter Parkplatz nicht das temporäre Standquartier deiner geliebten Maschine verstehe. Vergib mir auch, wenn ich dich als „Automensch” an- rede. Eigentlich müßte ich „Mitmensch” sagen. Aber, sieh, das setzt soviel Gemeinsames, ja Geschwisterliches voraus; und welche Kluft tut sich zwischen dir und mir schon bei der bloßen Assoziation auf, die das Wörtchen „Parkplatz” ‘auslöst. Wahrscheinlich bist du das Bild jenes Menschen, den unsere Epoche zeichnet, während sie mich mit Unbehagen anrührt. „Die Welt, die wir verlassen” — wie das Buch von Otto Schulmeister heißt — war nämlich meine Welt, in der es freilich auch Autofahrer gab. Man nannte sie „Herrenfahrer”. Aber du, lieber Automensch, bist eines jener unüberhörbaren Signale eines Epochenwechsels.

Ich kenne deinen „Parkplatz” — wie dein Terminus technicus heißt — nur als gelegentlicher Mitfahrer, und zwar dann, wenn dein höchstes Vergnügen, dein Glück, für mich ein unabänderliches Muß darstellt. Dein Parkplatz ist jener auf acht bis zehn Quadratmeter beschränkte Raum meist übelriechenden Asphalts, der dir deine Entlassung aus dem Blechgehäuse einer Maschine für kurze Zeit ermöglicht, wie auch die Entspannung des heißgelaufenen Motors, der für dich arbeitet, dessen Gebieter auf, Tod und Leben du bist.

Ihr Automenschen habt das prächtige Wort „Blechschaden” geprägt, und der Fußgeher, aus dessen Gilde du rühmlich ausgetreten bist — Automenschen haben ja keine Füße —, hat diesen Begriff poesievoll erweitert, indem er, ichbezogen wie alle Fußgänger, die Blech-schaden- freude daraus abgeleitet hat. Es ist die einzige Freude, die dem passionierten Spazier- und Müßiggänger in bezug auf deinen Fortbewegungsapparat erwächst. Der Italiener nennt ihn bezeichnenderweise offiziell „la macchima”.

Fast scheint mir, als sprächen du und ich nicht die gleiche Sprache. Ich, die ich unter Parkplatz jene souveräne, ausgesparte Stille eines von Blumen und Bäumen umsäumten Rasens mit einladenden Sitzbänken verstehe, einen Ort, an dem ich den beglückenden Einklang zwischen mir und meiner Existenz empfinde, jenem Dasein, das nicht von einem Motor in Gang gesetzt werden kann. Auch die Knospen hier in den Büschen öffnen sich nicht unter dem Druck auf ein Pedal. Der Eintritt ist frei. Er ist unbezahlbar. Der „Gang”, wie ich ihn verstehe, bezieht sich auf die species Mensch. Er ist integrierender Teil seiner Persönlichkeit, wogegen du darunter einen Hebel verstehst, der nach Bedarf geschaltet wird. Du speisest ihn wie einen Computer. Er ist dir hörig. Du bist auf Ihn angewiesen. Von dieser in voller Fahrt begriffenen Menschheit weiß man nicht, ob sie in die Sterne oder in den Abgrund saust.

Der Fußgeher fühlt sich deiner Welt vielfach schutzlos preisgegeben. Entgehe ich dir beziehungsweise deiner Stoßstange um Haaresbreite, so stößt du einen Fluch aus, indes ich ein Stoßgebet verrichte. Du und deine Maschine, eure elementare Bezogen- heit aufeinander, diese grundlegende Veränderung der menschlichen Psyche ln unserem Jahrhundert, drängt in geradezu terroristischer Weise alles Seelenhafte der übrigen Kr-.a- tur aus der Welt hinaus. Wird man für eine solche Welt Geschichte betreiben? Wird man Geschichte brauchen? Was bedeuten die Zeichen an der Wand?

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