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Der Priester als Gesamtkunstwerk

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Kann denn aus einem Satz etwas Gutes werden, wenn er schon so anfängt: „Das ist ja das Menschliche an der Kirche, daß …?” - Das Menschliche ist offenbar das, wofür man - wenn schon nicht sich zu schämen, so doch um Nachsicht zu bitten hat: man muß das verstehen, wir sind alle keine Engel, Petrus war ja schließlich auch nur ein Mensch.

Ist es nicht verräterisch, daß man den Satz „In allem wurde er erfunden wie ein Mensch” sofort mit dem Zusatz versieht, der sich ja wohl von selber versteht: „ausgenommen der Sünde”, statt sich über die Auszeichnung zu freuen, die dem Menschlichen durch die Menschwerdung Gottes widerfuhr? Manchmal hat man wirklich den Eindruck, als hätten am christlichen Menschenbild Nestroyfiguren mitgemischt, die grundsätzlich das Schlechteste von sich annehmen …

Daß das Menschliche in der Kirche etwas Gutes ist, übersieht man sehr leicht, wenn man aus lauter Angst vor schlechten Beispielen das Gute übersieht, das die Kirche nun schon so lange am Leben erhält: ich meine das lebendige Zeugnis. Glaube wird nämlich, auf höchst menschliche Weise weitergegeben durch ein vorgelebtes Beispiel.

„Exempla trahunt”: Beispiele reißen mit - Bevor ich die lateinische Sentenz zu übersetzen lernte, lernte ich sie zu begreifen. Meine erste Begegnung mit der Kirche war - was denn sonst? - die Begegnung mit einem Menschen.

Und mit was für einem! Der alte Pfarrer Klöckl, der mir Taufe und ersten Religionsunterricht erteüt hat, war das, was man ein Original nennt. Er hielt ausschließlich Stegreifpredigten, verfügte über ein großes Repertoire von Geschichten und Sprucheinheiten, war ein Freund des Auswendiglernens, mochte bischöfliche Kanzleien nicht besonders, wußte einschlägig Bescheid in Juristei und Medizin, fütterte etliche Katzen und geriet jedesmal in Panik, wenn eine wohlmeinende Putzfrau in der Nähe seines Schreibtisches den Besen zückte.

Daß der Priester ein Mensch ist, und zwar in erster Linie: das war mir das Selbstverständlichste. Erst später, als ich zu meinem Bedauern feststellen mußte, daß nicht alle Priester so originell waren, habe ich dazugelernt, wie eine gewisse Ni vellierung und Uniformität am Priester gern gesehen wurde. „Ex opere operato” auch im nicht-sakramentalen Bereich: im Vordergrund die Funktiori, das Menschliche eher im Hintergrund.

Als ich in der Umbruchssituation des Zweiten Vatikanums („bloß” als Laientheologe) zu studieren begann, waren Diskussionen über das Priesterbild an der Tagesordnung. Rollenverlust und Rollenunsicherheit: Was „bleibt” dem Priester denn noch, wenn der Laie ohnehin alles „darf”, hieß es damals. Und in der Tat ist das Sprechen von Wandlungs- und Absolutionsworten ein we nig wenig für einen sinnvollen, erfüllenden Lebensent- wurf.

Ein Priesterbild wird erst sehenswert, wenn es mit Fleisch und Blut ausgezeichnet ist. Eine auf zwei Beinen wandelnde Funktion wird niemanden mitreißen, ein Mensch schon. Der Priester ist das, was er aus seinen höchstpersönlichen Eigenheiten macht. Die Charismen sind seine konkret vorhandenen Eigenschaften, die er zum Nutzen der Gemeinde wuchern läßt: Der Priester ist letzten Endes ein Gesamt- kvmstwerk, wo das Privateste und Individuellste seines Menschseins unverzichtbar für das Offiziellste und öffentlichste seines Dienstes ist.

Eine Utopie? Vinzenz Klöckl war keine Utopie, und ich weiß, daß dieser Typ des Priesters nicht ausgestorben ist. Ich kenne viele solche Priester, die mit Leib und Seele Priester sind, also nicht bloß mit Seele. - Erst vor kurzem habe ich wieder einen kennengelernt, einen Pfarrer in einem kleinen Dorf in Oberfranken, der mir mitreißend jenes Beispiel vorgelebt hat, das meine Argumente bloß schwach umreißen.

Der Autor ist gebürtiger Burgenländer, Laientheologe, freier Schriftsteller und Verfasser von Meditationstexten.

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