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Der RAM-Bock

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Letzte Woche beim Kegeln: Kegelbruder Heribert, ein stets lustiges Haus, war verstört. Aus kegelbrüderlichen Augen strömte ihm Mitgefühl, Kameradschaft, Verständnis, auch ein wenig Neugier entgegen.

Was war geschehen, was war zu befürchten? Bei Mittvierzigern gibt es ja eine ganze Reihe von Störungsmöglichkeiten mit Ver-störungswirkungen: Karriereknick, Partnerschaftsprobleme,

Gesundheitsbedenken, Sorgen um den Nachwuchs und was nicht noch alles.

Heribert mußte ins kameradschaftliche Kreuzverhör. Nein, im Beruf sei alles tip top, möglicherweise stünde sogar eine weitere Beförderung ins Haus. Nein, mit Luise käme er— nach wie vor—bestens zurecht, und nach einer kurzen frauenbewegten Zwischenphase sie auch wieder mit ihm. Nein, Kreislauf und Verdauung wären total o. B.

Also der Nachwuchs?! Heribert entkam ein sehr verhaltenes „Wie man's nimmt!“ Wahrscheinlich aufmüpfig, der junge Herr, immer aUes besser als die Eltern wissend? Nein, das wäre es nicht.

Oder einer von diesen Mode-freaks, die sich für nichts anderes interessieren als enge Hosen und breite Jacken? Nein, mit der Kleidung gäbe es keine Probleme.

Aha, ein Aussteiger, ein Leistungsverweigerer? Nein, die Arbeit machte ihm durchaus Spaß.

Die Runde der besorgten Kegler wurde noch besorgter. Vielleicht eine Freundin, Freundinnen gar? Nein, für Mädchen interessiere sich der fragliche Sohn nicht - für Jungen allerdings auch nicht, wie schnell und nachdrücklich hinzugefügt wurde.

Ja, dann wisse man auch nichts mehr. Heribert würgte: „Unser Sohn ist ein Computerfreak! Ein RAM-Bock! Ein Byter! Ein Bito-

löge!“ Erstaunen, Unverständnis, Ratlosigkeit. „Er verbringt jede freie Minute vor dem Computer, jede zweite mit seinen Computerbüchern, jede dritte mit seinen Computerfreunden!“

Ja, das schien in der Tat schlimm zu sein. Da mußte man nachfragen.

In der zweiten Runde des Kreuzverhörs mußte Heribert mit Einzelheiten über den Filius herausrücken. Das ergab ein überraschendes Büd: In der Schule lief es prima, zu Eltern und Bekannten verhielt er sich ausgesprochen korrekt, über Fußball und Golf wußte er Bescheid, an jugendlichem Schabernack war er nicht uninteressiert, und in der Schülerdiskothek hatte er vor drei Wochen einen Tanzpreis gewonnen. Was also?

Heribert mußte Farbe bekennen: „Von Zeit zu Zeit zieht er sich in sein Zimmer zurück und darf auf keinen Fall gestört werden. Da nimmt er sich dann einen ganzen Packen Bücher mit!“ Den Kegelbrüdern schwante Unzüchtiges.

„Vorgestern habe ich seine Geheimliteratur einmal überprüft.“ Klar, das hätten alle anderen auch getan. „Wißt ihr, was da drinnen stand: Ziffern und Buchstaben, zeilenweise, spaltenweise, seitenweise, völlig unverständlich, angeblich Programme, sogenannte Listings.“

Enttäuschung in der Runde. „Und wißt ihr, was das schlimmste ist?“ Niemand wußte es. „Unser Sohn best darin wie in einem Krimi — und versteht auch alles!“

Heribert klappte zusammen, ein weiteres Opfer der Neuen Informationstechniken. Die Runde zeigte wenig Rührung: Sie programmierte auf dem Kegelaufstellcomputer eine Sargpartie.

Der Hilflose

Herr K. sprach über die Unart, erlittenes Unrecht stillschweigend in sich hineinzufressen, und erzählte folgende Geschichte: „Einen vor sich hinweinenden Jungen fragte ein Vorübergehender nach dem Grund seines Kummers: Jch hatte zwei Groschen für das Kino beisammen', sagte der Knabe, ,da kam ein Junge und riß mir einen aus der Hand', und er zeigte einen Jungen, der in einiger Entfernung zu sehen war. Jiast du denn nicht um Hilfe geschrien?'fragte der Mann. JDoch', sagte der Junge und schluchzte ein wenig stärker. JHat dich niemand gehört?' fragte ihn der Mann weiter, ihn liebevoll streichelnd. JVein', schluchzte der Junge. JZannst du denn nicht lauter schreien?' fragte der Mann. X>ann gib auch den her.' Nahm ihm den letzten Groschen aus der Hand und ging unbekümmert weiter.“ BERTOLT BRECHT

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