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Der Zusammenbruch einer „Hausgemeinschaft“

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Eine schweigende Runde auf den Besucherstühlen: die Hausmeisterin, der Buchhalter, der Arzt, die Hofrätin, die Angestellte. Die Hofrätin ist so lebendig, wie man es über Siebzig noch sein kann. Sie trägt einen verschossenen Hausmantel mit Blumenmuster. Die Angestellte hat sich etwas zurechtgemacht, eine Frau nicht mehr ganz Mitte zwanzig, der man es ansieht, daß sie sich überall unbehaglich fühlt . Der Sekretär sitzt auf dem Stuhl seines Chefs hinter dem Schreibtisch und bewacht des zusammengeschlagene Tuch mit den Scherben des Krugs.

Hausmeisterin (halblaut): Wie er da wieder hinter dem Schreibtisch sitzt, der aufgeblasene Kretin, als würde er ihm schon gehören. (Zum Arzt) Wenn Sie mich fragen...

Arzt: Belästigen Sie mich nicht.

Hausmeisterin: Dann sag ich's Ihnen, ohne daß Sie mich fragen...

Arzt: Verschonen Sie mich. Mit Ihnen unterhalte ich mich nur vor Zeugen.

Hausmeisterin (laut): Sitzen hier nicht schon genug Zeugen herum? (Beim Wort „Zeugen“ überläuft es die Angestellte hörbar). Sparen Sie sich die Gänsehaut, Fräulein, Sie werden sie noch brauchen.

Hofrätin: Wenn ich recht verstanden habe, handelt es sich nur um eine unverbindliche Auskunft, nicht?

Der Sekretär macht die passende unverbindliche Geste.

Hofrätin (zur Angestellten): Also regen Sie sich nicht auf. Niemand beschuldigt Sie.

Angesteüte: Ich rege mich überhaupt nicht auf.

Hofrätin: Doch, doch, Sie vibrieren. Sie sind so blaß, daß man Sie nur noch verschwommen sieht.

Angestellte: Sie haben wieder die falsche Brille auf.

Hofrätin: Glauben Sie? (Sie sucht nervös in den Taschen ihres Hausmantels). Es muß die richtige sein. Wo hätt' ich denn die andere.

Angesteüte (nimmt seufzend der .Hofrätin die Brüle ab.): Sehen Sie, das ist die Brille, die Sie aufhaben. Hofrätin: Ja?

AngesteUte: Es ist die Briüe mit dem Metallrand. Hofrätin: So?

Angestellte: Das müssen Sie doch sehen.

Hofrätin: Wie soll ich etwas sehen, wenn Sie mir die Brüle wegnehmen.

Angestellte (gereizt): Sie hat einen Metallrand. Und welche Ihrer Brillen hat einen Metallrand? Ihre LesebriUe. Ihre Ausgangsbrille hat keinen Metallrand, sondern eine Fassung aus Kunststoff.

Hofrätin: Aus Horn.

Angesteüte: Dann eben aus Horn.

Hofrätin: Lieb daß Sie mir das sagen, aber das weiß ich ja.

Angesteüte (empört): Sie wissen es nicht, sonst würden Sie sie nicht dauernd verwechseln.

Hofrätin: Vergreifen Sie sich nicht im Ton, Kind. Ich muß nicht untervermieten, und schon gar nicht an Sie. Ich bin versorgt - was man von Ihnen nicht behaupten kann.

Buchhalter (zum Sekretär): Sie waren doch bei ihm drinnen. Was macht er?

Sekretär: Er überlegt. Buchhalter: Das kann ich mir vorstehen.

Arzt: Ich glaube nicht, daß Sie dazu in der Lage sind, Sie mit Ihrem Spatzenhirn.

Buchhalter: Das ist alles notiert. Alles, was Sie sagen, ist notiert.

Arzt: Doppelte Buchführung, hoffentlich.

Buchhalter: Mist!

Arzt: Wie bitte?

Buchhalter: Ich sage: Mist. Spendieren Sie Ihre Ratschläge Ihrer sogenannten Zeugin Der steht doch das schlechte Gewissen schon im Gesicht geschrieben. Die fällt Ihnen um wie nichts. (Zur Angestellten) Was hat er Ihnen denn empfohlen, daß Sie aussagen soüen, der Herr Doktor?

Angesteüte (überrumpelt): Ich verstehe nicht....

Buchhalter: Dann muß ich deutlicher werden. Was bezahlt er Ihnen für Ihre Aussage?

Angesteüte: Wie?

Buchhalter: Jetzt wird es nämlich

ernst, Fräulein. Jetzt können Sie nicht mehr zurück. Und wenn man Sie bei einer Lüge ertappt, bei der winzigsten Unkorrektheit... das wüd Folgen haben. Wo sind Sie angestellt?

Angestellte: Was geht das Sie an, wo ich angesteüt bin?

Buchhalter: Wenn Sie uns Schwindeleien auftischen, wüd man Ihrer Firma einen Wink geben, und in Nullkommanichts sitzen Sie auf der Straße.

Hofrätin: Heüige Maria, Mutter Gottes...

Angesteüte: Was für ein Flegel...!

Arzt: Wer einen Wink gibt, und wem ein Wink gegeben wird, das wüd sich noch herausstellen. Ich habe nicht den

Eindruck, daß Sie in Ihrem Büro unersetzlich sind. Und wie korrekt Ihre Abrechnungen sind, bei dem Alkoholkonsum, den Sie sich leisten... es wäre vieUeicht ganz lustig, das einmal nachzuprüfen.

Buchhalter: Sie reden sich nur immer tiefer in den Schlamassel hinein, merken Sie das nicht?

Hofrätin: Das arme Kind ist ganz durcheinander.

Hausmeisterin: Sie soü einmal tüchtig Stiegen waschen, dann wird sie gleich bessere Nerven haben.

Arzt (zur Angestellten): Lassen Sie sich nicht einschüchtern, Fräulein. So ist das nun einmal vor Gericht.

AngesteUte: Ich stehe vor Gericht? Davon hat mir niemand etwas gesagt.

Hausmeisterin: Was haben Sie denn gedacht, wo Sie sind. Beim Rendezvous im Riz, weü Sie so schön sind? . AngesteUte: Wie komme ich dazu, daß man mich unter einem harmlosen Vorwand hier herunterlockt - und plötzhch stehe ich vor Gericht. Ich bin noch nie vor Gericht gestanden.

Arzt: Aber doch nicht Sie allein, wir alle...

Hofrätin: Kopf hoch, immer darüberstehen.

Angestellte: Bemuttern Sie mich nicht, mein Gott, bemuttern Sie mich nicht fortwährend. Ich bin ein ehrlicher Mensch. Ich habe nichts verbrochen. Und ich lüge auch nicht. Ich habe noch nie gelogen. Und ich lasse mir nicht nachsagen, daß ich bestochen worden bin. Dafür ist mit mein Haushaltstag zu schade! (Sie springt auf und wiU zur Tür. Sie kommt nicht weit. Der Arzt hält sie fest.)

Arzt: Was? Ausreißen? Das gibt es nicht. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Aussage. Hier kommen Sie erst heraus, wenn Sie Ihre Aussage gemacht haben.

AngesteUte (schwach): Hüfe.

Sekretär: Sie haben nicht das Recht, die Zeugin in ihrer Bewegungsfreiheit zu behindern.

Arzt: Wen behindere ich denn, Sie dressierter Affe. (Zur Angestellten) Sie setzen sich, und Sie mucksen sich nicht, bis Sie aufgerufen werden (Zum Sekretär) Und Sie, wenn Sie sich einbilden, Sie können hier den Zauberlehrling spielen und uns schulmeistern, Sie Würstchen, dann muß ich Ihnen leider sagen, dazu sind Sie viel zu imbedeutend.

Hausmeisterin: Sagen Sie ihm, was er ist. Eine Flasche. In meinen Augen ist er eine Flasche.

Sekretär: Aber Frau Mathüde...

Hausmeisterin: Für Sie habe ich einen FamUiennamen. Unterstehen Sie sich nicht, mit mir zu reden, als wären Sie der Herr Rat persönlich.

Buchhalter (zum Sekretär): Ich werde Sie gleich beim Schlafittchen nehmen, wenn Sie hier einseitig Partei ergreifen, und dann kutschiere ich Sie dorthin, wo Sie hingehören.

Hausmeisterin: Schmeißen Sie ihn raus! Schmeißen Sie ihn raus! -

Die mit Büchern getarnte Tür öffnet sich Der Hausbesitzer tritt ein: in schwarzer Toga, auf dem Kopf eine sü-berweiße AUongeperücke, in der Hand eine ScheUe. Er hört noch den Ausbruch der Hausmeisterin.

Hausbesitzer: Frau Mathüde, ich muß doch sehr bitten.

Die Anwesenden sehen den Hausbesitzer in seiner Verkleidung ungläubig und betroffen an. Der Hausbesitzer scheUt heftig mit der Gerichtsglocke. Der Klang fährt den Mietern in die Glieder.

Hausbesitzer: Süentium! (Zielbewußt steuert er seinen Sitz an, der sofort vom Sekretär geräumt wird.) Danke Franz. Ist das Objekt unbeschädigt?

Sekretär: Es ist unbeschädigt im gleichen beschädigten Zustand wie vorher.

Hausbesitzer: Brav. Ist die Zeugin anwesend? Hofrätin (hastig): Ja. AngesteUte: Ja.

Hausbesitzer: Einmal Ja genügt. Ich hoffe, Sie antworten nicht auf aUe Fragen zweimal, sonst kommen wir nicht weiter. (Er erblickt die Hofrätin.) Franz, was ist denn das. Das hätten Sie nicht zulassen dürfen. Das ist ganz und gar ungehörig.

Hofrätin (demütig): Herr Rat...

Hausbesitzer: Wüklich ungehörig. (Zur Hofrätin) Gnädige Frau, es ist mir immer ein besonderes Vergnügen, aber ich erinnere mich nicht, daß Sie vorgeladen sind Ich muß Sie rügen -und Sie auch, Franz.

Hofrätin: Wenn Sie meine Untermieterin verhören woUen, brauchen Sie meine Hüfe. Allem wäre sie nicht gekommen, und sie bleibt auch nicht, wenn ich nicht bleiben darf.

AngesteUte: Wie Sie mich wieder hinstellen, wie eine Analphabetin!

Hofrätin: Ich weiß, was für Sie gut ist.

AngesteUte (springt auf): Ich verbitte nur diese Bevormundung. Ich arbeite in einem Großbetrieb, ich trage Verantwortung. Ich bin der Verantwortung immer gewachsen gewesen.

Hausbesitzer: Das freut mich. Setzen Sie sich. Nicht dort Hier. Hier vor mir.

Hausmeisterin: Gehen Sie schon. Der Herr Rat beißt Sie nicht.

Hausbesitzer: Frau Mathüde, ich beiße niemanden, wenn man mich nicht herausfordert.

Hausmeisterin: Ein Blatt werd' ich nur vor den Mund nehmen, wegen der

arroganten Kuh, die nicht einmal im Stiegenhaus grüßen kann, für die wir Luft sind.

Angestellte: Ich grüße Sie nicht, weü ich mich nicht von Ihnen aushorchen lasse. Ich bin keine Spionin.

Hausmeisterin: Haben Sie das gehört? Ich wül sie zur Spionin machen. Was war denn bei Ihnen auszuspionieren. Uber die Alte bin ich sowieso im Bilde. Herr Rat, wenn ich die Miete einkassiere, weü die Herrschaften natürlich viel zu vornehm sind, sich herunterzubemühen, glauben Sie, die hätten mich auch nur einmal in die Wohnung gelassen?

Hausbesitzer: Das gehört wirklich nicht hierher, Frau Mathüde.

Hausmeisterin: Ich beschwere mich nicht, ich sag' es nur. Im Grund kann ich ja froh sein, daß ich meinen Fuß nicht über eine Schwelle setzen muß, wo einem gleich der Mief von fünf Jahren entgegenkommt. Wenn sie die Tür aufmacht, trifft einen schon der Schlag.

Hofrätin (lauernd): Von welcher Wohnung ist denn die Rede?

Hausmeisterin: Von Ihrer natürlich. Fragt der alte Sakristeibesen noch, von welcher Wohnung die Rede ist!

Hausbesitzer: Mit wachsendem Entsetzen bemerke ich, Frau Mathüde, daß ich Sie überhaupt nicht kenne. Ich habe nie geahnt, was für ein Teufel in Ihnen schlummert.

Hofrätin: Finden Sie, daß er schlummert?

Hausbesitzer: Liebe, verehrte...

Hofrätin: Aber vielleicht ist er Ihnen noch nicht wach genug, der Teufel. VieUeicht bin ich Ihnen hier noch nicht genug beleidigt worden. Machen Sie das Maß voU Werfen Sie mich hinaus, weisen Sie mir die Tür...!

Hausbesitzer: Niemand hat auch nur die geringste Andeutung...

Hofrätin: Ich weiß, wie Anstand und Taktgefühl vergolten werden. Besonders in diesem Haus, und besonders von diesem ordinären... nein, das Wort kommt mir nicht über die Zunge.' (Zur Angestellten) Und auch von Ihnen, Kind. Wh sprechen uns noch. Sie haben sich heute sehr zweideutig verhalten.

Arzt: Ich bin nur neugierig, wann Sie endlich mit den Präüminarien fertig werden. Ich habe eine Zeugin genannt. Sie sitzt vor Ihnen. Fangen Sie sin. Der Krug muß zur Sprache kommen.

Hausbesitzer: Es muß noch viel mehr zur Sprache kommen, Herr Doktor, als schon zur Sprache gekommen ist. Es sind hier Worte gefallen, die mich tief verletzt haben Ich bin mit mir zu Rat gegangen, ob es besser wäre, den FaU abzulehnen und Sie Ihrer Verstocktheit zu überlassen. Doch das Gewissen hat mich überzeugt, daß ich mich meiner Aufgabe nicht entziehen darf - obwohl es für meine Gesundheit besser wäre.

Arzt: Dann ist ja aUes in Ordnung. Machen Sie's nicht so feierlich.

Hausbesitzer: Da man es ablehnt, sich gütlich zu einigen, muß das Recht in seiner Strenge herrschen. Sie haben sich vieUeicht gefragt, warum ich im Talar vor Ihnen erscheine. Dieses ehrwürdige Gewand soU Sie an die Erhabenheit des Gesetzes, an die gebieterische Macht der Justiz erinnern, der in sittlicheren Zeiten als den unseren die Gewalt über Leben und Tod anvertraut war. Und das war noch gnädig, wenn wir ein Todesurteü aussprachen. Viel wirkungsvoller, viel abschrek-kender war, daß jedes Haar auf Ihrem Kopf, jeder Zahn, jeder Fingernagel, jedes Glied Ihres Körpers der Gerichtsbarkeit unterlag. Die Folter! (Der Hausbesitzer hat glänzende Augen bekommen. Sein Blick konzentriert sich auf die Angestellte.) Die Folter hat den Verstocktesten zermürbt. Streckbank, Daumenschrauben, der Spanische Stiefel, der glühende Rost, die Stäupung, die Blendung, die Entmannung, und die Krönung von alledem: die Eiserne Jungfrau. Da gab es kein Geständnis, das man nicht bekommen hätte. Leider hat man dieses zeitsparende Verfahren abgeschafft, also bleibt uns nur der mühsame Weg der Ermittlung. Und ich werde ermitteln, nehmen Sie sich in acht. Antworten Sie der Wahrheit gemäß und ohne Winkelzüge. Wenn Sie es an der schuldigen Achtung fehlen lassen, wird dieses Instrument Sie zur Ordnung rufen. (Er packt die Gerichtsglocke und läutet.)

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