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DIE KLUGE FRAU

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So gibt es zweierlei Ärzte, solche, die zu trübe machenden Voraussagungen neigeri, und andere, hoffnungsvollere. Der Mann, von dem hier die Rede ist, geriet an einen eher schwarz sehenden. Er, der Mann, nicht der Arzt, war ein Liebhaber des Weins und des Tabaks, und man sagt, auf die Dauer täte das nicht gut. Er war ein Mann im Trubel der Geschäfte, weit ausgreifende Pläne schmiedend, Stöße von Briefen auf dem Arbeitstisch, der Feirisprecher schrillte, und bis in Schlaf und Traum verfolgten ihn seine Abmachungen. Seine Tröster, wie gesagt, waren der Wein, es durfte auch einmal ein scharfer Schnaps sein, und waren die Zigarren — am liebsten rauchte er Brasilzigarren, schwarz wie Pech, und groß wie ein Baumstamm, mit herrlich verglühender, schneeweißer Asche. Dann tat ihm das Herz weh. Seine Brust war geklemmt, als ob Riesenfäuste sie zusammendrückten, der linke Oberarm schmerzte wie von einem Messerstich — das ist schon ein schlimmes Zeichen, jeder Herzkranke weiß es. Er wußte es auch. Eines Abends war ihm ganz elendiglich zu Mute, er bekam keirie Luft mehr, und der kalte Schweiß saß ihm auf der Stirn. Seine Frau riet ihm, einen Arzt zu fragen, was denn mit ihm los sei. „Was soll denn los sein?“ verwahrte er sich, aber so bänglich und furchtsam fühlte er sich und tat also was die Frau empfohlen. Der Arzt, ein kahlköpfiger Herr, runzelte die Stirn und untersuchte ihn, nicht bloß so mit Abklopfen und Abhorchen, er durchleuchtete ihn mit einem Zauberwerkzeug, und mit einem anderen belauschte er sein Herz, und der Befund war ziemlich traurig. „Ja“, sagte der Kahlkopf, und seine goldene Brille blitzte, „in ihrem Alter eben!“ Der Geschäftsmann war Mitte der Fünfzig. „Mein Lieber“, fuhr er fort, „schön sieht es nicht aus bei Ihnen. Sie sind nicht mehr der Jüngste“, sagte er, „das ganze Getriebe ist schon recht mitgenommen. Stark verbraucht“, sagte er, „nun, nichts hält ewig, das ist nun einmal so. Sie sollten anfangen, sich vom Geschäft ein wenig zurückzuziehen“ — kurz, es war bitter, was der Geschäftsmann hören mußte. Er ging betroffen nach Hause und bedachte, wie kurz das Leben sei, nur ein paar Jahrzehnte, und er schon verbraucht.

Natürlich rauchte er an diesem Abend wieder, es schmeckte ihm aber nicht recht, und die Geschäfte, wie sollte er die lassen? Sie waren das Wichtigste, das glaubt der Mensch so leicht, und meint, er kann nicht heraus aus ihnen, und was soll denn dann das Leben überhaupt? So ging es eine Zeit- lang, aber ihm war wie einer Forelle, die man aus dem Bach in den Kies geworfen hat — sie springt, und schlägt um sich, und Staub wirbelt um sie und nicht das grüne Wasser. Seine Frau sah es mit an, und sagte: „Eines Mannes Rede ist keines Marines Rede“, und sagte: „Geh doch zu einem andern Arzt, was der meint.“

Klug sind die Frauen, und er ging zu einem andern Arzt. Der nun beklopfte und behorchte ihn auch, und bediente sich auch der zauberischen Geräte, die der alte Hippokrates, der Vater der Ärzte, noch nicht zur Verfügung gehabt hatte, seinem hilflosen Jahrhundert gemäß, aber die Menschen starben damals wie heute. Diese zweite Arzt war ein gemütlicher Arzt, es so auszudrücken. „Ach!“ sagte er, „ein Schaden ist da, aber wer ist ohne Schaden? Ein bißchen weniger zu rauchen empfehl’ ich, und müssen es denn immer die dicken, schwarzen sein? Nun, ob blond oder schwarz, weniger halt! Im übrigen“, so sprach er weiter, „ich liege sozusagen im gleichen Lazarett mit ihnen! Worüber Sie klagen, ist ein Übel, das mich auch plagt! Wir wollen uns nicht einschüchtern lassen, und die Flinte ins Korn werfen. Ich gebe jedem von uns noch 20 Jahre! Wollen Sie länger leben? Fünfundsiebzig zu werden“, sagte er, „das genügt doch? Oder, was meinen Sie?“ Der tief und selig aufatmende Geschäftsmann meinte das gleiche. Er nahm den Fernsprecher nicht weniger oft zur Hand hinfort, die Schreibmaschinen klapperten, ein neues, großes Geschäft tat sich eben auf, leuchtend und vielversprechend, wie die Morgenröte, und daneben ein anderes schon, und die Forelle war wieder im grünen Wasser und tänzelte und jagte.

Nach vier Wochen solle er wieder zu ihm kommen, hatte der lustige, selber herzkranke Arzt gesagt, der ihm das Leben neu geschenkt. Er kam wieder, und ein Dienstmädchen öff- taete ihm die Tür und sagte: „Sie wissen es noch nicht? Der Herr Doktor ist vor einer Woche plötzlich gestorben.“ Und Tränen standen in ihren hellblauen Augen. Da kann man nun Verschiedenes denken über schwarzseherische und zuversichtliche Ärzte. Der Geschäftsmann dachte Verschiedenes. Er ging, von seiner Frau gedrängt, zu einem dritten und vierten Arzt, und zu einem berühmten Professor gar, und einmal auf ein Vierteljahr in eine Heilanstalt. Zu guter Letzt versuchte er es mit einem Kurpfuscher, der in seinem Hauptberuf Schafe hütete, draußen, am Rand der Stadt. Der behandelte ihn mit Lehmpackungen, und das war seine Rettung — das glaubte der Geschäftsmann steif und fest, der inzwischen, die Ärzte ständig wechselnd, schon die Siebzig überschritten hatte, immer noch rauchend, und Schnaps und Wein nicht verschmähend, und seine Frau war ihm schon längst gestorben. Ziemlich pünktlich dann mit 75 Jahr eh segnete er ganz unerwartet das Zeitliche, wie ihm das schon jener frühverblichene, lustige Arzt vorausgesagt hatte. Wer lang krank ist, lebt lang, lautet ein alter Spruch, dessen Wahrheit sich hier wieder einmal erwies.

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