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Dichterprobleme

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Ich möchte Dichter werden. Lyriker. Die haben es gut. Das heißt, Geld bekommen sie auch keins, nur Honorare. (Immerhin kriegen sie pro Zeile mehr als die anderen und ihre Zeilen dürfen ganz kurz sein.) Sie genießen aber Respekt. Sie dürfen sogar grammatikalische Fehler machen, und kein Redakteur wagt es, ihnen etwas zu sagen - es konnte ja eine licentia poetica sein, er will sich nicht blamieren.

Literaturwissenschaftler schreiben über Lyrik lange Artikel und dicke Bücher. Die Artikel fürjene,die zu faul sind, das Gedicht selbst zu lesen; die Bücher zum eigenen Vergnügen und für die Studenten. Dadurch, daß man Gedichte unterschiedlich auslegen kann, sind sie für die Wissenschaftler gefundenes Fressen: Die eigene Auslegung ergibt dreihundert Seiten und dreihundert die Polemik mit denjenigen, die das Gedicht anders auslegen.

Manche Dichter haben schon für ein paar schmale Lyrik-Bändchen den Nobelpreis bekommen - ein Satiriker kriegt nicht einmal eine Rezension, sogar in dem Blatt nicht, für das er regelmäßig schreibt.

Kurzum, Dichter, selbst schlechte, werden von allen geschätzt, Satiriker dagegen, selbst gute, nur von den Lesern - und das auch nur von den intelligenten.

Es sind jedoch nicht die Ehren in Form von Sekundärliteratur und so weiter, die mich verlocken, Lyriker zu werden. Ich bin es einfach satt, immer zu meckern, zu jammern und zu kritisieren und dabei noch eine lustige Miene zu machen.

Ich möchte auch mal etwas Positives, etwas wirklich Schönes über unsere Welt sagen. Und wer kann das heute? Nur ein Lyriker, ein echter weltfremder Dichter!

Obwohl dies heute auch für Dichter nicht leicht ist, wenn sie nicht lügen wollen. Wenn sie aber lügen wollen, können sie doch gleich eine politische Karriere machen, oder die eines Staatsdichters in einem „sozialistischen" Land, mit Orden und Titeln.

Früher gab es einige erfreuliche, absolut sichere Themen, über die Dichter positiv schreiben konnten. Zum Beispiel die Landschaft. Die Welt ist wirklich schön geschaffen - zumindest erscheint sie uns so, die keine andere Welt kennen; es gibt auch heute noch, trotz aller Bemühungen der Menschen, herrliche Landschaften. Es herrscht aber in ihnen entweder Krieg oder das Touristen-Geschäft, oder bittere Armut.

Sollte sich ein Dichter entscheiden, diese drei kleinen Landschaftsfehler zu übersehen und ein schönes Stückchen Erde besingen, wird er feststellen, daß er zu spät gekommen ist - es wurde schon in viel schöneren Farben ausgemalt: In Werbeprospekten. Mit der Phantasie der Werbetexter kann sich kein Lyriker messen - jene werden auch entsprechend besser bezahlt.

Auch andere traditionelle Dichterthemen werden kaputt gemacht. Früher brauchte ein Poet nur eine schöne Frau zu sehen - oder sich eine auszudenken -und schon hatte er Material genug für Sonette, Oden und Hymnen; er brauchte sie nur von Kopf bis Fuß zu beschreiben: Das lange dichte Haar, die tiefen schwarzen (blauen, braunen) Augen, ihre Wespentaille, ihre schlanken Beine ... Heute würde man dabei gleich an Reklame für Shampoon, mo-

dische Brillen, Schlankmacher oder Strumpfhosen denken. Früher hat man um Frauen geworben, jetzt wirbt man um Konsumentinnen.

Außerdem, über die Schönheit der Frauen zu dichten ist heute ausgesprochen gefährlich - man muß damit rechnen, daß man sofort von den Emanzen angegriffen wird. Es beleidigt sie sehr, wenn man sagt, daß Frauen schön sind, auch wenn man sie persönlich nicht meint; wenn man eine Frau schön findet, heißt das, daß man sie als Sexobjekt sieht.

Übrigens bin ich gespannt, wie die Anti-Feministinnen (sie nennen sich

zwar „Feministinnen", bekämpfen jedoch alles Feminine, selbst den Begriff) zwei Probleme lösen, wenn sie an die Macht kommen: Wie wollen sie die Frauen für Männer unschön machen und wie dann den weiteren Bestand der Menschheit sichern?

Dies sind aber ihre Probleme - oder höchstens der Science-fiction-Satiriker-, nicht der Dichter. Die haben auch ohnedies genug Probleme. Besonders wenn sie, wie ich, positiv schreiben möchten.

Verdammt nocheinmal! DieSehnsucht, schön über Schönes zu schreiben, macht einen doch glatt zum Satiriker.

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