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Die Midlife-Krise

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In den sechziger Jahren erschien das Werk von Charlotte Bühler „Psychologie im Leben unserer Zeit“. Darin wird der Schilderung des menschlichen Lebenslaufes breiter Raum gewidmet. Die Probleme der Pubertät und des Alters werden ausführlich behandelt, von einer „Midlife“-Krise (einer Krise in der Mitte des Lebens) ist keine Rede. Und auch in einem Lexikon wird man das Wort nur finden, wenn es neuesten Datums ist.

Soziologen, Psychologen und Ärzte sind verlegen, wenn sie den Begriff definieren sollen. Etwas leichter tun sie sich mit einer zeitliehen Lokalisierung; sie wird allgemein für den Zeitabschnitt zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr vorgenommen.

In diese Zeit fällt bei der Frau die Menopause mit ihren oft sehr fühlbaren körperlichen und seelischen Belastungen. Selbst wenn Kinder geboren wurden, bedrückt oft die Gewißheit, keine mehr gebären zu können, selbst dann, wenn keine weiteren erwünscht sind.

Sind die Kinder schon aus dem Haus, fällt ein gewichtiges Aufgabengebiet aus, was besonders schwer wiegt, wenn sich die Mutter bisher ausschließlich der Familie und der Betreuung der Kinder gewidmet hat. Einsamkeit breitet sich aus. Verminderte sexuelle Erlebnisbereitschaft ist oft mit der Vorstellung geringerer Attraktivität verbunden.

Ist die Frau berufstätig und sind die Kinder noch im Haus, führt das oft zu einer Uberbelastung. Das Gefühl der Hilflosigkeit und des Uberfordertseins kann die Folge sein.

Der Mann in den „besten Jahren“ hat weniger unter biologischen Belastungen zu leiden, doch kann das Nachlassen der Potenz insgeheim auch schmerzlich erlebt werden.

Im Beruf drängen junge Leute nach oben, die im Computerzeitalter mit Wissen und Fertigkeiten aufwarten, die ein Jahrzehnt zuvor kaum gefragt, ja nicht einmal bekannt waren.

Mit Recht wird Jugendarbeitslosigkeit als schweres soziales und menschliches Problem erkannt; immerhin hat der junge Mensch meist doch einen Rückhalt in der elterlichen Familie und Hoffnung auf Besserung in der Zukunft. Anders ist die Lage des Menschen in der Lebensmitte: Der gelernte Werkzeugmacher, dessen Arbeit ein Roboter übernommen hat (und noch besser macht), hat es selbst bei Anpassungsbereitschaft und Umschulungswillen schwer, noch einmal im Berufsleben Fuß zu fassen.

Auch wenn in unserem Staat das soziale Netz engmaschig ist und große Mittel für Umschulungen aufgewendet werden, so macht sich doch Existenzangst breit und bereitet den Boden für die Midlife-Krise.

Die Midlife-Krise ist keine Krankheit, wohl aber eine Belastung, welche Medikamente zwar lindern, nie aber lösen können. Flucht in Alkohol und Drogen sind eine Gefahr und verschlimmern letztendlich die Situation bedrohlich.

Wahrscheinlich ist es kein Zufall, daß der Begriff Midlife-Krise in einer Zeit auftaucht, in der die Nachkriegsgeneration in wachsender Zahl in die Mitte ihres Lebens tritt, eine Generation, die in großer Ungebundenheit, verwöhnt durch steigenden Wohlstand immer größerer Bevölkerungsschichten, aufgewachsen ist.

Der Wachstumsoptimismus von gestern ist heute einer berechtigten Skepsis, gerade auch in der Jugend, gewichen. Diese Entwicklung erleichtert es, mit den vielen Krisen unserer Zeit zu leben und sie zu meistern. Der heuer abgehaltene Gesundheitstag der Arbeitsgemeinschaft der Heil- und Gesundheitsberufe (dem diese Ausführungen zu Dank verpflichtet sind) stellte mit seinem Motto die Frage: „Lebensmitte - Höhepunkt oder Krise?“

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Ausdruck Krise negativ besetzt. Die Ubersetzung aus dem Griechischen bedeutet soviel wie Entscheidung, Wende, und diese kann auch zum Guten führen. Und dies gilt auch in der Midlife-Krise, wenn die mit ihr einhergehende Belastung gemei-' stert wird.

In der Lebensmitte — mit oder ohne Krise — ist es nützlich, Bilanz zu ziehen: Was habe ich erreicht, verfehlt, und was kann und soll ich noch erreichen?

Es wird oft zu einer Neuorientierung kommen. Dabei gilt es zu akzeptieren, daß unsere Kräfte sich allmählich verringern, daß die Fruchtbarkeit der Frau und die Potenz des Mannes schwinden und schließlich, daß jedes Leben begrenzt ist. Das bedeutet Abschied, Trennupg, Trauer. Und es gilt, sie zu verarbeiten und sich nicht in ihr zu verlieren.

Die Kraft dazu soll schon in frühen Jahren grundgelegt werden. Leichter tun wird sich, wer als Kind gelernt hat, auch gelegentlich allein zu sein, wer gewöhnt war, mit anderen zu teilen oder wer im Spiel ein guter Verlierer war.

In der Jugend wird es vorteilhaft sein zu erfahren, daJ3 die wachsenden Wünsche und Ansprüche nicht immer durchgesetzt werden können. Wer Freiheit erlebt hat, aber auch ihre notwendige Begrenzung dort, wo die Freiheit des Nächsten beginnt, hat wohl auch bessere Voraussetzungen, sich umzustellen.

Und schließlich macht es eine Gesellschaft, in der Leistung wohl gilt, die aber nicht nur die Leistung wertet, den Menschen leichter. Alle diese Voraussetzungen sind zwar keine Garantie dafür, daß es nicht zur Midlife-Krise kommt. Doch bieten sie eine gute Aussicht, sie besser zu bewältigen.

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