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Digital In Arbeit

Die neuen Briefe

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Die Post stellte mir einen großformatigen Umschlag ins Haus. Der maschinell applizierte Poststempel ließ auf einen professionellen Absender schließen. Das machte mich skeptisch.

Die routinemäßige Vorsicht erwies sich als überflüssig. Das Innere des Postwurfes barg eine ansehnliche Zeitschrift eines weltbekannten Unternehmens und einen Brief.

Derselbe war korrekt adressiert, persönlich gehalten und von geradezu überraschender Rechtschreibung. Kein scharfes J3“ war vergessen, kein Beistrich fehlte. Meine Stimmung stieg.

Man teilte mir mit, daß man, „Zustimmung vorausgesetzt“, mir das beigefügte typographische Wunderwerk nunmehr im Zweimonatsabstand zusenden wollte und daß dieses „selbstverständlich“ kostenlos erfolgen würde. Meine Stimmung erreichte Höhepunkte.

Nun wollte ich meine Zustimmung ausdrücken und gleichzeitig auch schreiben, wie sehr mich eine solchermaßen inhaltlich höfliche wie sprachlich perfekte Zusendung erfreute. So etwas kriegt und liest man heute ja wahrlich nicht mehr häufig!

Ich entwarf zunächst einen knappen Text von etwa drei Maschinenschreibseiten, verdichtete ihn sodann — auf eindringliche Ermahnung meiner Muse Ida -auf drei Absätze, wobei leider einige stilistische Besonderheiten auf der Strecke blieben, und setzte mich an meine Schreibmaschine.

Ich tippte Briefkopf und Adresse und machte mich mit Schwung an die Anrede. Es blieb beim Schwung.

Das Problem lag nicht in der Wahl der rechten Formel, das Problem lag im Geschlecht. Der Brief war nämlich zwar höchstpersönlich, aber leider auch unleserlich unterschrieben, der Verfasser zwar - „als Bearbeiter“ -genannt, jedoch nur mit seinem Nachnamen.

Sollte ich also bedenkenlos einem sehr geehrten Herrn oder sollte ich wagemutig und hoffnungsfroh einer sehr verehrten Frau, vielleicht sogar einer Gnädigen, schreiben?

Sollte ich einen Kompromiß versuchen und mich brieflich an werte Damen und Herren wenden?

Sollte ich mich gar auf den Amtsschimmel schwingen und jedwede persönliche Anrede unterlassen?

Ich geriet in Bedrängnis und ins Schwitzen. Da kam mir Ida zu Hilfe. Sie kam gerade von ihrer regelmäßigen Frauenrunde nach Hause. Für sie war das alles gar kein Problem. „Sei zeitgeistig und emanzipiert, schreib' einfach .Hallo Mann/Frau!*“

Damit traf sie mich ins Mark. Ich hatte diese modische Sprachverbindung noch nie leiden können: ob man/frau es heute so macht, ob es jedermann/jedefrau toll findet. Mir macht man/frau mit man/frau keine Freude. Ich finde die Skripturale Eman/frau-zipation einfach man/frauisch.

Aber: ich liebe meine Frau, und die Erfüllung ihrer Wünsche hat sich als probat erwiesen. Außerdem ist sie meine Muse. Sie küßte mich auch in diesem schwierigen Fall.

Mit Schwung tippte ich los: ,.Lieber Mensch,...“

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