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Digital In Arbeit

Eine freudige Nachricht

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Er überlegte, was vorgefallen sein könntfe. Er glaubte, ein ruhiges Gewissen zu haben, aber nicht so sehr, daß er dem da sorglos entgegensah. Wenn es etwas Gewöhnliches gewesen wäre, hätte der Dienstweg eingehalten werden können, und man brauchte ihn nicht gleich dorthin zu beordern.

Der Zettel lag am Dienstag auf dem Schreibtisch, am Freitag sollte das Gespräch stattfinden. Er nahm sich vor, die Sache für sich zu behalten und keinen damit zu belasten.

Seiner Frau fiel auf, daß nicht alles stimmte. Nicht nur, weil ihr Mann pünktlich nach Hause kam.

den Aufwasch machte, freiwillig Schuhe putzte und höflich war wie selten — etwas an ihm schien verändert.

„Gibt’s was im Betrieb?“

„Aber nein, ganz und gar nicht.“

Sicher, Sorgen im Betrieb, dachte sie, da er nicht losbrummte wie sonst: Laß mich in Ruhe, hab den Kopf voll genug.

Der Mann schlief gut und träumte von Fleischklößchen, die plötzlich ins Riesige anwuchsen und mit Messern auf ihn zustürzten, die Messer kijtzelten; er spürte keinen Schmerz, nur Ekel.

Am nächsten Tag arbeitete er korrekter als sonst, holte Rückstände auf, die er noch lang zu verschieben vorgehabt hatte, erledigte energischer als üblich Telefongespräche, versuchte Dinge in die Wege zu leiten, die schon als aussichtslos abgeschrieben waren.

Seiner Frau brachte er Blumen und bestand darauf, das Abendbrot für beide zuzubereiten, so daß sie ihn skeptisch ansah und nach Gründen für sein Verhalten suchte. Fremdgegangen, schlußfolgerte sie schließlich. Falls dies stimmte, und er gestände es, dann mußte die Situation genutzt werden. Sie überlegte: Neue Schuhe, ein bestimmtes Paar hatte sie schon im Auge.

Nach dem Abendbrot sägte er Holz und ließ sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen. Eigentlich hatte er sich nichts vorzuwerfen. Obwohl, was hieß nichts, man konnte natürlich nie sicher sein, alles mit der nötigen Sorgfalt erledigt zu haben, da man nie genau wußte, wo die nötige Sorgfalt in unnötige oder in mangelhafte abglitt. Das eine wie das andere brachte genügend Gründe für Beanstandungen. Man mußte mit allem rechnen, auch damit, daß gar nichts war. Er dachte angestrengt über sein Verhalten nach, die Arbeit der letzten drei Monate, soweit das ohne Unterlagen möglich sein konnte.

Als alles zersägt war, schwitzte er, schwitzte auch noch im Bett, und die Frau vermutete nun eine Krankheit.

Er fragte, wo eigentlich sein Sohn wäre.

Sie antwortete, daß er doch wissen müsse, daß Manfred für zwei Wochen in ein Sportlager delegiert sei - er habe die Einwilligung zur Teilnahme selbst unterschrieben. Hoffentlich nichts mit den Nerven, überlegte sie, als er ihr einen Gute-Nacht-Kuß auf die Stirn gab.

Er schlief die Nacht traumlos und versuchte am Donnerstagmorgen Arbeitskollegen gegenüber besonders freundlich zu sein, entschuldigte sich vertraulich bei einem für ehemals eingefädelte, in der Zwischenzeit allseits bekannte und fast vergessene Intrigen — jener bedankte sich herzlich und vermutete eine neue.

öfter führte sein Weg auf die Toilette, um ungestört mögliche Vorkehrungen zu erwägen. Vor allem wollte er einen kühlen Kopf bewahren, im Prinzip konnte ihm ja nichts passieren. Hoffte er. Strafbar war es jedenfalls nicht. Trotzdem mußte man auf gewisse Dinge eingestellt sein — und wenn das, was er im ungünstigen Fall vermutete, zutraf, wäre es nicht schlecht, wenn er gleich als erster seinen Fehler nennen, abschwächen und einsehen würde.

Mehrere Varianten wurden durchgespielt, was ihn nicht beruhigte, da er immer unsicherer war, ob es überhaupt um diese Sache ging oder um eine andere. Oder gar keine, der Zettel war versehentlich auf den Schreibtisch gekommen. Auch etwas Harmloses, selbst ein Scherz kam in Frage.

Am Nachmittag versuchte er mit Kollegen längere Gespräche zu beginnen, erzählte von seinem Sohn, der gern auf die Sportschule wolle, er versäume kein Training und zeige, nach der Meinung anderer, auch beträchtliches Talent. Doch er als Vater hätte da Bedenken, immerhin bekäme er jetzt schon Vitaminpräparate.

Die Angesprochenen staunten über den Redefluß des sonst mit

Äußerungen sehr zurückhaltenden Kollegen, einige machte diese plötzliche Gesprächsfreudigkeit mißtrauisch, andere gingen gern auf das Thema ein, allerdings mehr unter dem Gesichtspunkt, ob die DDR bei der nächsten Olympiade die Zahl ihrer Goldmedaillen noch vergrößern könne.

Er arbeitete zehn Minuten länger als erforderlich, wich so gut es ging Vorgesetzten aus, kam abends später nach Hause und hatte ein paar Bier getrunken.

Die Frau roch es, auch die Schnäpse, sagte nichts, machte sich aber weitere Gedanken über den Zustand ihres Mannes. Als er dann im Bett zudringlich wurde, schienen ihre Erwartungen bestätigt: Sie hatte es immer geahnt, bei derartiger Uberbeanspruchung und Arbeit mußte es früher oder später soweit kommen. So sehen also die Folgen eines Nervenzusammenbruchs aus, dachte sie. Am Montag würde sie mit dem Betriebsarzt sprechen, unbedingt würde sie das.

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