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Die Sprache der Nachbarn

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Lutzmannsburg (Lozsmand) und Zsira (Tening) liegen nur eine Viertelstunde Fußweg voneinanderentfernt. Und doch braucht man von hier nach dort, die Wartezeit nicht eingerechnet, rund eine halbe Stunde mit dem Auto - so weit ist's nämlich bis zur nächsten Grenzstelle. Nur am ersten Sonntag im Juli hatte man einen provisorischen Übergang eingerichtet, dort, wo in derschönen mittelburgenländischen Landschaft der Graswuchs noch die Stacheldraht-Barrikaden ahnen läßt: Die „Burgenländische Forschungsgesellschaft" - eine Arbeitsgemeinschaft junger Wissenschaftler bisher vor allem durch erfolgreiche Buchveröffentlichungen bekannt - hatte wieder zu „Zaun-Gesprächen" geladen.

Diese „Zaun-Gespräche" sind Begegnungen zwischen benachbarten Ortschaften dies- und jenseits der einst so toten Grenzen, bei denen eines der beiden Dörfer zu einer Mischung aus lokalhistorischem Informationsnachmittag und „Mulatschag" mit Musik bittet. Diesmal machte Lutzmannsburg den Gastgeber.

In der Weinkost-Halle, hinter just demselben Gasthaus, in dem derzeit Grenzsoldaten einquartiert sind, sitzen Ungarn und Österreicher an langen Heurigentischen beisammen. Großes Hallo, Händeschütteln zwischen hüben und drüben, neue oder nach jahrzehntelanger erzwungenen Trennung erneuerte Freundschaften gibt es schon wieder. Vorne wechselt „Musi" vom heimischen Ziehharmonika-Duo ab mit Vorträgen zur Geschichte beider Orte und zur Chronik der jüngsten Kontakte im Zuge der politisohen Öffnung. Selbstverständlich wird alles gedolmetscht.

Mit berechtigtem Stolz stellt die Lutzmannsburger Schuldirektorin Rosemarie Ritter das Projekt „Wir lernen die Sprache unseres Nachbarn" vor: Ein zweisprachiges Sommerlager von Kindern aus Zsira und aus Lutzmannsburg hat nicht zuletzt der engagierten Lehrer wegen von Anfang an derart eingeschlagen, daß heute in beiden Volksschulen regulärer Ungarisch- beziehungsweise Deutschunterricht gehalten werden kann. Unter den vielen interkulturellen Experimenten im Burgenland wurde gerade dieses, so Rosemarie Ritter, für eine internationale Tagung ausgewählt.

Gewisse Gönnerhaftigkeit

Bei früheren Zaungesprächen hat es oft eine Jause gegeben, Selbstgebackenes manchmal. In Lutzmannsburg hätten zumindest die Getränke für die ungarischen Gäste frei sein sollen, aber aus unerfindlichen Gründen übernahm die Gemeinde schließlich nur die letzte Runde. Ein Vorfall, der zum Glück nicht typisch ist.

„Eine übertriebene Demutshaltung der Ungarn und eine gewisse Gönnerhaftigkeit der Österreicher, besonders der örtlichen Funktionäre" fällt auf, meinen die Organisatorinnen Eva Müllner und Traude Horvath. („Weil wir auf der besseren Seite der Grenze liegen", hat andernorts ein Bürgermeister gesagt). Am wenigsten vielleicht beim Treffen Narda/Schandorf; dort verbindet nämlich die kroatische Identität.

Aufgefallen ist Müllner und Horvath auch, daß die Vertreibung der Deutschen und heikle Themen der Nachkriegszeit „bei den Ungarn unheimlich tabuisiert sind". Andererseits definieren sich die Ungarn-Deutschen „offenbar sehr stark als unterdrückte Minderheit". Um diese Minderheit ging es vor allem bei den „Zaun-Gesprächen" zwischen Heiligenkreuz und Rabafüzes. Zwischen Loipersbach und Agfalva stand die Konfession im Mittelpunkt; denn

Agfalva war vor dem Krieg ebenso deutsch und evangelisch wie Loipersbach.

Das gilt für Lutzmannsburg; Zsira dagegen war immer ungarisch. In dieser Konstellation ist auch ein Herr-Knecht-Verhältnis angelegt: Seit jeher sind die Zsiraer zu den wohlhabenden Lutzmannsburgern „in Dienst gegangen" und nicht umgekehrt. Eine „von drüben", die schon lange hier verheiratet ist, bemüht sich gemeinsam mit einer Lutzmannsburger Freundin mit Ausstellungen und ähnlichem erfolgreich um freundschaftliche Kontakte. Sie ist in der Ortschaft ausgezeichnet integriert; aber: „Dieses Vorurteil, ,wir sind sauberer als die Ungarn, wir machen alles besser', diese Einbildung und Geringschätzung, das ist wahr, das gibt es hier manchmal noch."

Kanalisation und Maschinen

Die nächsten und letzten „Zaun-Gespräche" werden, wie zuvor schon einmal, zwischen Eisenstadt und Sopron/Ödenburg stattfinden, und eher überregionalen Charakter haben. In der Folge werden die Initiatorinnen eine Studie im Auftrag des Wissenschaftsministeriums am Beispiel dieser beiden Städte und der Situation Oberbildein/Pornöäpäti erarbeiten.

Mit dem Veranstaltungszyklus wollten sie auch zu grenzübergreifender Zusammenarbeit anregen. Von gemeinsamer Kanalisation und Maschinenringen über gemeinsame Vermarktungsstrategien und Fremdenverkehrsprojekte bis zum Schüleraustausch reichen die möglichen Projekte. Ungarischerseits stehen oft Finanzierungsschwierigkeiten im Wege, „auf Seiten der Burgenländer Mangel an Phantasie", bedauert Traude Horvath. „Wir haben den Eindruck, daß bei uns noch immer viele mit dem Rücken zur Grenze stehen."

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