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Die Wirklichkeit des Hermann Lenz

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Hermann Lenz hat Zeit seines Lebens gegen den Zeitgeist geschrieben, dadurch aber sein Jahrhundert wahrhaftig eingefangen. Mit Hilfe der Phantasie und des Traumes löst er die Zeit auf, und im Selbstgespräch seiner Romanfiguren fließen Geschichtliches, Vergangenes und Gegenwärtiges ineinander. Beispiele dafür sind „Mit den Augen eines Dieners", das mit deutlich autobiografischen Zügen versehene Werk „Andere Tage" und „Das stille Haus".

Lenz stellt also innere Vorgänge dar, wobei es seinen „Helden" darum geht, ihr seelisches Gleichgewicht gegen alles Vorteilsdenken in der gesellschaftlichen Umgebung zu bewahren. Helden sind sie, seine Romanfiguren, weil sie konsequent darauf verzichten, sich als Helden aufzuspielen - ein Gegentyp zu unserer modernen Gesellschaft der Macher und Blender.

So leise auftretende, nachdenkliche Menschen finden sich wieder in Lenz' neuestem Roman „Schwarze Kutschen". Da ist unter anderen das Mädchen Maria, deren Innenstimmung nur dann ausgependelt ist, wenn sie alleine ist. Aus ihrer Sicht gesehen beginnt die Erzählung romantisch und märchenhaft. Denn der aus Stuttgart stammende, jetzt in München lebende Dichter hat die Handlung wieder einmal in ein idealisiertes kaiserliches Wien knapp nach der Jahrhundertwende, also einer Zeit des Aufbruchs und Umbruchs, verlegt.

Da wohnt auch der Hausmeister August Smekal mit seiner Frau und der Enkelin Maria, während deren Mutter Anna unabhängig und frei sein will, so daß sie als Sängerin in einem Hotel lebt. Sie alle führen innere Dialoge, die von einer Situation zeugen, in der man sich eigentlich auflehnen müßte. Aber gegen wen, fragt Smekal, und gibt sich die Antwort: „Wahrscheinlich ge-gen's Schicksal. Wahrscheinlich

handelte es sich dabei um etwas, das Macht ausübte, weiter nichts".

Die Erzählung wird vorangetrieben durch eine eigenartige Spannung, zwischen intakter äußerer und verletzter innerer Welt, durch Umschreibung der geordneten Habsburg-Monarchie und der ungeordneten Welt der Revolutionäre. Deutlich sieht man dies an der Gestalt des Major Rothmund, der für Anna eine Gesangs-Tournee durch Rußland vermittelt. Diese Passage gerät zum spannenden Spionageroman mit Anarchisten, politischen Fanatikern und deren Sympathisanten aus der herrschenden Schicht, Verhaftung und Bomben. Das Ende ist dann wieder sanft und tröstend.

Das Buch lebt aus einer Vielzahl kleiner Bilder, die sich zu einem Mosaik formen. Man muß Hermann Lenz gelesen gesehen haben: Er macht dabei Handbewegungen, als streichle er die Luft. Sehr genau wird er in der Schilderung von Natur: „Im Ziehbrunnen sah er tief unten das Wasser spiegeln und überlegte, warum ihn dies freute. Vielleicht weil es etwas war, was immer da war. Er sah hinaus, und vor den Wäldern in der Ferne war ein blauer Dunst wie Hauch auf einer Pflaume."

Ein für uns heutige Extrovertier-te sehr aktuelles Werk:' „Das Deine war gerade noch maßgebend für Benehmen und Geschmack, doch würde es bald nichts mehr gelten, weil es die meisten einengte; denn sie mußten es bewundern und so tun, als ob sie auch fein wären. Bald aber würde eine Zeit anfangen, in der das Gegenteil angestaunt wurde, und dann würden viele sich gezwungen fühlen, so zu tun, als ob sie rüde wären, weil eine grobe Mode herschte."

SCHWARZE KUTSCHEN. Von Hermann Lenz. Insel Verlag, Frankfurt/Main 1990. 189 Seiten, öS 249,60.

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