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Das Bilderbuch vom Prinzen Eugen

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Vielleicht ist es erlaubt, hier ganz kurz einige Erinnerungen und frühere Eindrücke wachzurufen; gehöre ich doch der interessanten Generation des Überganges an: als ich das Licht der Welt erblickte, stürzte der Doppeladler bereits tödlich getroffen mit eingezogenen Schwingen nieder — ein Jahrzehnt früher, und die Verbindung mit der Tradition wäre noch einigermaßen selbstverständlich gewesen, ein Jahrzehnt später, und die Trennungslinie hätte sich schon deutlich und tief eingetragen. So ist es bemerkenswert, daß ich das Lied vom „Edlen Ritter“ ganz früh habe singen hören; Melodie und Strophe:

„Prinz Eugenias, der edle Ritter, Wollt dem Kaiser wied’rum kriegen Stadt und Festung Belger ad; Er ließ schlagen eine Brucken, Daß man kunnt hinüberrucken Mit d’r Armee wohl für die Stadt!"

zählen zu den ersten Eindrücken überhaupt, sind daher im tiefen Grund des Herzens unveränderlich aufgehoben. Kindermädchen müssen es gesungen haben oder Köchinnen bei jenen geheimnisvollen Handlungen, die sie an mehlbestäubten Tischen oder Herden voll Feuer im Bereich der blauen Zuckerhüte und kupfergoldenen Kessel vollführten, und wenn ich ganz still hineinhorche ins Erinnern, so glaube ich auch eine Männerstimme zu vernehmen, die allerdings nur in den Versen „Er ließ schlagen eine Brucken, daß man kunnt hinüberrucken“ zum Klingen gebracht werden kann, aus endlos weiter Ferne.

Trenne ich mich von diesem frühen Eindruck, der einen Hinweis gibt, wie lange das Lied noch im Volk gesungen wurde — Kinder, die jetzt zur Schule gehen, müssen manchmal den Text memorieren, sie lernen ihn also auch kennen, aber doch auf andere Weise —, um das nächste Erinnerungsstück hervorzukramen, so sehe ich ein Bilderbuch vor mir: es schildert das Leben Eugens in bestimmten Augenblicken. gibt einzelne Szenen wieder; Farbe und Zeichnung sind wahrscheinlich nicht von besonderer Subtilität gewesen, trotzdem gäbe ich viel, das Buch noch zu besitzen, noch einmal hineinblicken zu dürfen. Denn nur zwei Bilder des patriotischen Erbauungsbuches vermag ich noch so, halb wigs zti i schildern, kann auch.denTextj einigermaßen wiedergeben;' Das‘ers4e .dieserj Bilder zeigte den Prinzen inr Gespräch ttiii seinem Baumeister, im Hintergrund ragt ein Schloß auf, das ich später als das Belvedere zu Wien wiederzuerkennen glaubte, obwohl es auf dem Bild noch nicht vollendet dargestellt gewesen. Dem Text, den man mir wohl vorgelesen haben muß, war zu entnehmen, daß der Prinz über etwas, das der Baumeister gesagt hatte, äußerst erbost gewesen ist, ihn mit so durchdringendem Blick angesehen hat, daß der nach Hause geeilt war und sich daselbst zu Bett gelegt hatte, Frau und Kinder durften während der folgenden Tage nur auf den Zehenspitzen gehen — ein Umstand, der mir einen besonders tiefen Eindruck gemacht hat. Das zweite Bild stand am Schluß des Buches, der Held war gestorben und zu den himmlischen Heerscharen eingegangen, hatte aber das Interesse an der guten Sache deshalb nicht verloren; man sah nämlich ein Schlachtfeld, Soldaten in österreichischer Uniform, und über ihnen schwebte der Prinz. Kein ganz freies Schweben war es freilich; er stützte sich auf eine Wolke, wobei seine Pose einen zugleich komfortablen und erhabenen Eindruck machte, und wies mit seinem Marschallstab in eine bestimmte Richtung, vorwärts natürlich, wohin denn auch sonst. Ich weiß noch gut, daß ich mich fragte, was denn der Prinz aus jener luftigen Höhe sehen konnte und ob er den Tapferen da drunten einen bestimmten Hinweis geben, sie in eine bestimmte Richtung dirigieren wollte; woraus zu schließen ist, daß ich das Wesen der reinen Inspiration später verstanden habe als den Vorteil einer erhöhten, in die Situation des Gegners Einblick gewährenden Lage.

Im weiteren wird man übrigens sehen, daß Wir mit der Frage, wohin der Prinz denn da mit dem Marschallstab gewiesen und was es mit seinem „Vorwärts" für eine Bewandtnis habe, dem Mittelpunkt unserer Überlegungen bereits sehr nahe gekommen sind; trotzdem sei es erlaubt, für einen Augenblick zu dem ersten Bild zurückzukehren und sich etwas eingehender mit dem Zorn des Prinzen und seinen auf so effektive Weise strafenden Blicken zu befassen. Die hier geschilderte und wahrscheinlich etwas entstellt im Gedächtnis gespeicherte Episode hätte ich nämlich vielleicht ganz und gar vergessen, wäre ich nicht verhältnismäßig früh auf eine sehr edle Fassung derselben im Prosawerk Hofmannsthals gestoßen; da gibt es einen Aufsatz „Prinz Eugen, der Edle Ritter“, dazu einen Vorspruch, dem man entnehmen kann, daß hier eine Sammlung vorliegt, deren Gegenstand „die Legende vom Prinzen Eugen in zwölf erzählten und gemalten Bildern“ war — der Verdacht liegt nahe, das von mir erwähnte Buch könnte überhaupt mit jenem identisch sein, für das Hofmannsthal den Text geschrieben hat, die Widersprüche zu meiner Erinnerung ließen sich wohl daraus erklären, daß man mir aus dem Buche nur vorgelesen hat, auf jene vielleicht willkürlich verkürzende Weise, die nicht nur den Kindermädchen eigen ist. Sei dem wie immer, bei Hofmannsthal trägt die Legende den Titel „Eugen gibt seinem Verwalter eine gute Lehre“, es handelt sich hier nicht um das Belvedere, sondern um Schloßhof, der Baumeister ist zu einem Verwalter degradiert und das Ganze hat einen sozialen Anstrich erhalten. „Eines Tages, als er wieder vom Pferde gestiegen war“, heißt es bei Hofmannsthal, „und sich vom Verwalter, der links und einen Schritt hinter ihm ging, begleiten ließ, wo alles von Spaten klirrte und von Hämmern dröhnte, da sah er gleich, daß an einer Stelle, wo vergangene Woche ihrer fünfzehnhundert oder mehr an der Arbeit gewesen waren, jetzt nur etwa fünfzig schaufelten, da fragte er den Verwalter ,Wo habt ihr die Leute hingeschickt, die hier an der Arbeit waren?', worauf der Verwalter sagte: .Melde gehorsamst, diese Partie habe ich entlassen, die brauche ich jetzt nicht mehr.' Daraufhin sagte der Prinz: .Meint Er, ich brauche Ihn? Meint Er, man braucht einen Menschen in der Welt? Wenn Er meint, Er dürfe die Menschen verhungern lassen, die man nicht braucht, so sag Er mir, wer Ihn und mich vor dem Verhungern schützen soll.' lind gab diesem Mann, bevor er ihm ungnädig den Rücken kehrte, einen seiner gewissen Blicke, aber einen von den schärfsten. Da verwandelte sich diesem die Miene von amtlich lächelnder Devotion und Wichtig keit in eine graue Armesündermiene, und das ganze schlug sich ihm derart in die Beine, daß er sich nur mit Mühe bis in seine Verwalterswohnung zurückschleppen konnte, dann mußte er sich ins Bett legen, und seine Frau mußte ihm einen Lindenblütentee kochen, und acht Tage durften die Kinder im ganzen Haus nur auf Socken gehen, denn dem Verwalter drehte sich sein Schlafzimmer vor den Augen mitsamt den Pelargonientöpfen am Fenster und dem grünen Kachelofen und das alles von dem Blick, den ihm sein Herr gegeben hatte, und dem Ton, wie er das Wort .brauchen' ihm ins Gesicht geworfen hatte.“

Wie man sieht, ist mir das Motiv gesellschaftlichen Verantwortungsbewußtseins und prinzlicher Arbeitsbeschaffung entfallen, wohingegen das unwesentliche Detail der nur auf Socken umherschleichenden Mutter und Kinder sich unauslöschlich eingeprägt hat; so ist es aber ganz glaubwürdig, gehört es doch zu der schurkischen Art der Kinder, daß sie den sozialen Fragen wenig Aufmerksamkeit schenken oder sie rundheraus langweilig finden. Von der merkwürdigen Gewalt des Eugenschen Blickes haben verschiedene Zeitgenossen berichtet, es muß in der Tat ein eigenartiges Phänomen gewesen sein, und das schöne, dunkle Wort „Charisma“ drängt sich einem auf. Es paßt in dieses Bild, daß man Eugen Fähigkeiten zusprach, die dem gewöhnlichen Sterblichen versagt sind, das „zweite Gesicht" und der Blick in die Zukunft sollen ihm eigen gewesen sein.

Aus dem soeben im Verlag Herold erschienenen Buch „Prinz Eugen von Savoyen“.

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