Lehrermangel: Bildungspolitik braucht mehr als Marketing!

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Eine neue Erzählung von Schule, wie sie Minister Martin Polaschek in der FURCHE forderte, ist wichtig. Doch zur Attraktivierung des Lehrberufs muss an vielen Schrauben gedreht werden. Ein Gastkommentar.

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Eine neue Erzählung von Schule, wie sie Minister Martin Polaschek in der FURCHE forderte, ist wichtig. Doch zur Attraktivierung des Lehrberufs muss an vielen Schrauben gedreht werden. Ein Gastkommentar.

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Österreich steuert auf einen verschärften Lehrerinnenmangel zu. Knapp die Hälfte aller Lehrer ist über 50 Jahre alt. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Schülerinnen bis 2030 um fünf Prozent. Um dem Mangel beizukommen, rief Bildungsminister Martin Polaschek die Kampagne „Klasse Job“ ins Leben, die Erleichterungen für Lehramtsquereinsteiger umfasst. Gleichzeitig suggeriert er im letztwöchigen FURCHE-Interview, dass sich viele Probleme mit einer „Image­politur“ des Lehrer(innen)standes lösen ließen. So wichtig Wertschätzung gegenüber Pädagogen ist: Das Bildungssystem hat gewiss nicht nur ein Marketingproblem. Die Kampagne „Klasse Job“ ist dafür ein gutes Beispiel.

Die vielzitierte Hattie-Studie hat gezeigt, was Praktiker längst wussten: Auf die Personen, die unterrichten, kommt es an. PISA-High-Performer wie Finnland und Singapur eint ein hoher Anspruch an angehende Lehrerinnen, der sich auch in strengen, an sozialen Kompetenzen orientierten Aufnahmeverfahren äußert. Das korreliert mit einem deutlich höheren beruflichen Ansehen des Lehramts in der Bevölkerung. Während in Singapur 72 Prozent und in Finnland 58 Prozent der Lehrer ihren Beruf für hoch angesehen halten, empfinden das nur 16 Prozent der österreichischen Lehrerinnen so.

„Quereinstieg“ kann nicht alles lösen

Eine nun öffentlichkeitswirksame Erleichterung von Quereinstiegen suggeriert, dass pä­dagogische und didaktische Berufe „von jedem“ ausgeführt werden können. Kaum jemand käme aber auf die Idee, den Ärztinnenmangel auf vergleichbare Art zu bekämpfen. Zu groß – und berechtigt – wäre die Angst vor Qualitätseinbußen. Das soll den Wert guter Quereinsteigerinnen im Lehrerberuf nicht in Abrede stellen, sondern nur verdeutlichen, dass die Politik in puncto Lehramt mixed signals aussendet.

Die nun umworbenen Quereinsteiger können in der Schule freilich sehr wertvoll sein. Ihre berufliche Erfahrung ist eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Lehrerkarriere, ihre Motivation ist Studien zufolge sehr hoch, und lineare Erwerbsbiografien werden heutzutage immer seltener. Der neue Quereinstiegsmaster ermöglicht daher neue berufliche Perspektiven jenseits des erlernten Quellberufs. Die grundsätzliche Frage aber bleibt: Wie wird der Lehrerinnenberuf tatsächlich professionalisiert? Gemeint ist damit stets nicht nur die Praxis der Lehre und Entwicklung von Routinen, sondern auch eine wissenschaftliche Fundierung.

Damit Lehrer ein ­,klasse Job‘ wird, sind bessere Arbeitsbedingungen und diversere Karrierepfade nötig.

Die österreichische Politik steht damit vor einem Dilemma. Einerseits muss sie rasch Pädagoginnen hervorbringen, um den akuten Mangel zu entschärfen, andererseits sollte sie auch die Ausbildungsqualität erhöhen. Konsequente Selektionsverfahren sind jedoch keine realistische Option, denn was eine zusätzliche Hürde in Zeiten des Mangels bedeuten würde, ist offensichtlich. Was könnten also Maßnahmen sein, die den Lehrerinnenberuf sowohl qualitativ aufwerten als auch attraktiver machen?

Die oft schlechten Arbeitsbedingungen und die mangelnde – digitale und analoge – In­frastruktur werden in der öffentlichen Debatte zu Recht häufig erwähnt. Die Coronakrise hat beides schonungslos offengelegt. Damit ist nicht nur der bürokratische Aufwand des Lehrerinnenberufs gemeint, sondern auch fehlende Arbeitsplätze, fehlendes psychologisches Personal und fehlende Supervisionsmöglichkeiten. All das wirkt sich auf das Wohlergehen und damit die Unterrichtskapazitäten der Lehrerinnen aus und ist darüber hinaus nicht geeignet, um Einsteiger lange im Beruf zu halten.

Darüber hinaus werden lineare Karrierepfade seltener und Berufswechsel häufiger. Der Lehrerberuf ist darauf nur bedingt vorbereitet und wird so zu einer Karriere ohne Karriere. Eine Maßnahme könnte also auch die Diversifizierung von Berufsperspektiven sein. In Singapur eröffnet eine Lehrerausbildung – je nach Schwerpunktsetzung – zusätzlich zur pädagogischen Arbeit Karrierepfade in den Bereichen Fachdidaktik, Schulmanagement und Lehrerbildung, wodurch professionsinterne Auf- und Umstiegsmöglichkeiten gegeben sind.

Über pädagogische Haltungen nachdenken

In den vergangenen Wochen wurde die Struktur des Lehramtsstudien wieder einmal Thema. Ob eine Verkürzung allein – möglicherweise bei gleichbleibenden ECTS – jedoch den gewünschten Attraktivierungseffekt haben wird, muss offen bleiben. Zu führen wären viel eher Grundsatzdebatten: Sind schulische Einzelfächer und die Doppelfächerstruktur an den Hochschulen noch zeitgemäß? Wo ist im Rahmen des Studiums der Raum, um über pädagogische Haltungen – humanistisch, psychoanalytisch, etc. – nachzudenken?

Es braucht daher viele auch strukturelle Maßnahmen, um den Lehrerinnenberuf zu einem „klasse Job“ zu machen. Dazu zählen verbesserte Arbeitsbedingungen, diversifizierte Karrie­repfade und eine stärkere Personenorientierung in der Ausbildung. Die Erleichterung von Quereinstiegen ist nur ein Element und keines, das den Lehrermangel im großen Stil beheben kann, zumal man sich die Frage stellen muss, wie nachhaltig Reformen sind, die vor allem der Mängelverwaltung dienen. Was fehlt, ist eine strategische Planung, die auch das Verhältnis von Quereinsteigern und ausgebildeten Lehrerinnen berücksichtigt. Eine Inseratenkampagne ändert nichts daran, dass wir auf einen verschärften Lehrerinnenmangel zusteuern.

Der Autor ist Projektleiter Bildung im Neos Lab (Parteiakademie und Thinktank von Neos). Er hat gerade an einer Studie zum Lehrkräftemangel mitgearbeitet.

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