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Dolchstoßlegende

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Titel sind oft schon eine Aussage — eine Aussage über die Perspektiven, unter denen der Autor sein Thema gesehen hat.

Wer „Die Tragödie der deutschen Luftwaffe“ schreibt, meint doch wohl genau das, was im Waschzettel zu diesem Buch geschrieben steht: „Das Wunderkind der Deutschen Wehrmacht erfährt seine Entzauberung, die Luftwaffe wird zum Symbol der Tragödie des zweiten Weltkrieges…“

Was ist, so sollte man nun als erstes fragen, die „Tragödie“? Was David Irving, der Autor, in der angelsächsischen Welt und mehr noch bei uns bekannt durch seine Bücher „Der Untergang Dresdens“ und „Die Geheimwaffen des Dritten Reiches“, hier vorlegt, sind die Akten und Erinnerungen des Feldmarschalls Milch, vermehrt um Dokumente aus alliiertem Besitz über die deutsche Luftwaffe.

Wieso gibt Milch das Material an Irving? Die Antwort auf diese Frage (wenn wir von dem Satz absehen: Weil Irving eben Milch darum gebeten hat) hängt, so scheint es, sehr eng mit dem Titel „Die Tragödie“ zusammen — und mit dem, was in diesem Buch unter Tragödie verstanden wird.

Hängt zweitens zusammen mit all dem, was Irving inzwischen veröffentlicht hat: Als erstes nämlich, 1962, in der „Neuen Illustrierten“ die

Serie „Wie Deutschlands Städte starben“.

Ich will nicht sagen, daß diese Reportage zum Rührseligen, zum Bemitleidenswerten hin tendierte, indessen, sie zeigte im wesentlichen, wie die deutschen Städte im alliiert- ten Bombenhagel untergingen, wie schrecklich, wie grausam, wie sinnlos, wie verbrecherisch das eigentlich war. Mit dem Buch über die Zerstörung Dresdens wurde diese Irving- Linie konsequent fortgesetzt.

Kein Zweifel: Sie war schrecklich, sie war grausam, sie war sinnlos, diese unerbittliche Zerstörung von deutschen Städten aus der Luft. Aber man hatte, wenn man das Dresden- Buch las, genauso wie heute, wenn man das Luftwaffenbuch liest, nicht das Gefühl, daß der Autor die Anfänge des Luftkrieges erzählen möchte. Die Anfänge der Eskalation.

Am 1. August 1940 gab Hitler seine „Weisung Nummer 17“ als Geheime Kommandosache und Chefsache im Führerhauptquartier bekannt, betreffend die Führung des Luft-und Seekriegs gegen England.

Darin hieß es: „… und beabsichtige ich, den Luft- und Seekrieg gegen das englische Mutterland in schärferer Form als bisher weiterzuführen… Der Luftkrieg ist insbesondere gegen die Einrichtungen der Lebensmittelbevorratung im Inneren des Landes weiterzuführen.“

Und unter Punkt 5 dieser Weisung Hitlers stand der lapidare Satz:

Die beiden letzten „Merian“-Hefte von Mai und Juni 1971 hat man zwei weit voneinander liegenden Ländern gewidmet. Vorarlberg, dem eigenwilligsten Bundesland Österreichs, und Südnorwegen, dem Land der Mitternachtssonne mit seinen lieblichen Fjorden, nebst der Haupt- und Residenzstadt Oslo, die in den letzten Jahrzehnten einen ungewöhnlichen Aufschwung genommen hat. Auch in den vorliegenden Heften bietet wieder eine Fülle von Beiträgen eine reiche Palette von der Kunst bis zur Landschaftsschilderung, von fesselnden Texten bis zu Spezialitäten der Küche. Beiden Ländern gemeinsam ist der Schneereichtum im Winter, welcher sie zu den Paradiesen aller Skifahrer stempelt. Vorzügliche Farb- und Schwarzweißbilder vermitteln dem Leser und künftigen Besucher viel Wissenswertes und geben einen Vorgeschmack der ihn erwartenden Erlebnisse. Otto Swoboda

„Terrorangriffe als Vergeltung behalte ich mir vor“ (wobei er diese Zeile handschriftlich unterstrichen hatte).

Das war die Basis. Die Statistik: Die Engländer warfen 1940 14.600 Tonnen Bomben auf den deutschen Kriegsschauplatz, während wir im selben Jahr 36.800 Tonnen Bomben über England fallen ließen.

„Die Tragödie der deutschen Luftwaffe“ — das klingt so, als ob diese Luftwaffe ein wahrhaft tragisches Schicksal gehabt hätte, daß sie stark war, aber falsch eingesetzt, falsch dirigiert wurde, daß es auch anders hätte kommen können, wenn…

In seinem letzten Buch über die Geheimwaffen des Dritten Reiches hat Irving diese Linie, die ganz in der Nähe einer Dolchstoßlegende liegt, schon sehr deutlich gemacht: „Bei dem Kampf gegen Adolf Hitlers Programm erhielt Großbritannien bestimmt ebensoviel Hilfe von den dummen Versäumnissen der Deutschen wie von den unmittelbaren Gegenmaßnahmen der Verbündeten: Schwäche des OKW, Unfähigkeit des LXV. Armeekorps usw. und schließlich Adolf Hitlers schwere strategische Fehlbeurteilung des Datums und des Ortes der Invasion… Deutschland zog das Sensationelle dem Strategischen vor, die Rakete dem Radar — und das hat dieses Land den Sieg gekostet.“

Deutschland hätte also den Krieg gewinnen können.

Versteht man jetzt, warum Milch diesem Irving seine Akten und Aufzeichnungen anvertraut hat?

Von dem Augenblick an, da Irving den Krieg beschreibt, tauchen stereotype Wendungen auf wie diese: „Die einmotorige Me 109 konnte London nur mit Mühe erreichen. Milch hatte schon vor vielen Monaten den Vorschlag gemacht, die Me 109 mit billigen Abwurftanks auszurüsten, um ihre Reichweite zu vergrößern. Dieses Projekt war zu spät verwirklicht worden…“

Wenn Deutschland also die Me 109 nach den Milchschen Plänen rechtzeitig umgerüstet hätte, hätte Deutschland die Luftschlacht um England gewonnen und damit einen Ausgangspunkt zum Gewinnen des ganzen Krieges gehabt…

Das zieht sich wie ein roter Faden bis zu den Gesprächen in der Nürnberger Haft, wo Milch zu Heß sagt: „Wir wurden besiegt, weil Hitler nach nur vier- bis fünfjähriger Wiederaufrüstung in den Krieg gezogen ist, ohne eine genügend vorbereitete Schicht des militärischen Führernachwuchses zu haben…“

Hätte Deutschland also den Krieg erst 1940 oder 1941 begonnen, hätte Deutschland ihn sicher gewonnen — das ist die zwingende Folge dieses Gedankenganges, die Irving ohne Kommentar übernimmt.

Nur am Rande sei vermerkt, daß Irvings Kronzeuge zu seinem 50. Geburtstag von Hitler, mit einem lobevollen Begleitschreiben, eine runde Viertedmillion in bar erhielt, „um Ihnen“ — wie Hitler schrieb — „bei der Gestaltung Ihres privaten Lebens etwas behilflich zu sein“.

Und dann kommt die große Schlußapotheose. Der englische Publizist schreibt: „Es ist schwer, in den ersten Jahren nach 1933 Fehler in Milchs Amtsführung zu finden, obwohl ihn die Willkür und Eifersuchtsmaßnahmen seines Ministers (Göring) immer mehr einengten und behinderten. Kein Regime hätte sich einen besseren Architekten für seine Luftmacht wählen können; aus dem Nichts schuf er bis 1940 die größte Luftwaffe der Welt… selbst im Krieg war seine Leistung nicht zu bestreiten.“

„Gäbe es das Stigma von Nürnberg nicht“, so echauffiert sich Irving, „so hätte die Geschichte Milch wahrscheinlich Seite an Seite mit Lord Brabazon und anderen großen Luftpionieren eingereiht… Auch heute noch sollte ihn die Geschichte mit Robert S. McNamara vergleichen.“

Wenn man das Buch von Irving gelesen hat, weiß man genau, warum Deutschland den Krieg verloren hat: Weil immer wieder unfähige Leute an falschen Plätzen einzelne falsche Entscheidungen getroffen haben. Ich hoffe, Sie verstehen meine Vorurteile, wenn ich vom Titel und vom Autor spreche…

DIE TRAGÖDIE DER DEUTSCHEN LUFTWAFFE. Von David Irving. Ullstein-Verlag, Berlin. 456 Seiten. S 207.—.

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