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Ein Lehrmeister für das Feiern

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Nein, ich kann nicht sagen, welches Weihnachtsfest mein schönstes oder wichtigstes gewesen wäre. Ich habe zu viele schöne und wichtige Weihnachtsfeste erlebt, es wäre ungerecht, höbe ich eins von ihnen hervor. Und doch habe ich selbst das Feiern erst spät gelernt. Ich hatte einen guten Lehr-, meister: nicht jedermann ist das richtige Feiern angeboren.

In meiner Familie war wenig Talent vorhanden, in festlicher Behaglichkeit zu feiern. Man war zwar guten Willens, Weihnacht und Ostern und was es sonst noch an Festen gab, nach Brauch zu begehen. Vor allem die Frauen gaben sich alle Mühe. Doch irgend etwas lief meistens schief. Das aufwendige, mit vielen Gängen prunkende Festmahl wurde in nervöser Stimmung eingenommen. Dann wackelte der Christbaum und setzte einen Vorhang in Brand, oder die herrliche Festtagstorte fiel zu Boden. Zuletzt war man froh, wenn alles vorüber war: „Nein, diese Feste sind doch eine wahre Plage.“

Im Jahr 1950 feierte ich zum ersten Mal mit meinem Mann. Ich weiß nicht, wie er es zuwege brachte, alles rechtzeitig vorzubereiten, daß am Christabend keine Hast und keine Eile aufkam; wie er es zuwege brachte, mir, der Hausfrau und Mutter einer fünfköpfigen Kinderschar, so viel Ruhe einzuflößen, daß ich keine Minute lang in Panik geriet. Natürlich gab es Arbeit: alle Hände voll. Aber der ganze Wirbel war auf Heiterkeit gestimmt, er ruhte, ich kann es nicht anders sagen, auf einem festen Fundament souveräner Hausväterlichkeit auf.

Immer hatte ich geglaubt, alles selbst und allein machen zu müssen. Jetzt lernte ich, daß man Aufgaben delegieren kann. Dieses Kind war mit dem einen, jenes mit einem anderen betraut: so glitten die Lasten von meinen Schultern. Ich war am Abend ausgeruht und munter und konnte mitgenießen. Ich genoß nicht nur Lichterglanz und Bescherung, Schenken und Beschenktwerden, ich genoß es auch, daß wir alle um Mitternacht gemeinsam zur Mette gingen. Dick vermummt machten wir uns auf den Weg. Meist hörten wir schon von weitem die Bläser vom Turm blasen. Dann dröhnten die Glocken. Die Kirche — gesteckt voll. Die Mette mochte lang oder kurz sein, wir hielten alle aus. Zum Heimweg fanden wir uns wieder zusammen. Wieder bliesen die Bläser vom Turm; mir kam vor, die bliesen den reinen Zusammenklang unserer Gemeinschaft.

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