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Ein "Mafioso" als Präsident

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Für viele ist er noch immer ein Betrüger, Hochstapler und Mafioso. Fikret Abdic heißt der Mann, der jetzt Präsident der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Hercegovina zu werden scheint. Bei den ersten demokratischen Wahlen seit Kriegsende vor zwei Wochen ging seine moslemische "Partei der de-mokratischen Aktion" als Wahlsieger hervor. Abdic selbst erhielt als einer der sieben direkt zu wählenden Kandidaten für den Präsidentensessel die weitaus meisten Wählerstimmen (40 Prozent). Aber was soll dieser moslemische Politiker alles auf dem Kerbholz haben?

In einer der ärmsten Gebirgsge-genden Jugoslawiens, im bosnischen Velika Kladusa, begannen um 1970 27 Arbeiter eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft aus der Taufe zu heben. Einer warder Jungkommunist Abdic, 1939 in Kladusa geboren und in seinem Leben nie weiter als bis nach Sara-jevo gereist. Seine Bauernschläue reichte allerdings viel weiter. In we-nigen Jahren gelang es ihm, eine Art Dr.Oetker-Konzern auf dem Balkan aufzubauen. "Agrokomerz" belieferte nicht nur den heimischen Markt, sondern war einer der größ-ten Exporteure von Bonbons, Champignons und Speiseeis über Gewürze und Konditorwaren bis Suppen, Salzstangen und Waldfrüchten.

Abdic's Erfolg schlug aber zu große Wellen, als sich jener daran machte, aus dem verschlafenen Kladusa eine moderne Stadt hervorzuzaubern. Er ließ Luxushotels für die mittlerweile 13.000 Arbeiter entlang der dalmatinischen Küste bauen, ein Casino und ein Schwimmstadion für die engsten Mitarbeiter, gar einen kleinen Flughafen und - das war sein Verhängnis - eine Bas-Carsija, ein moslemisch-orientalisches Bildungszentrum. Abdid bewertete auf einmal seine moslemische Kultur höher als die kommunistischen Ideale.

Im August 1987 platzte den anderen Parteibonzen der Kragen. Über die Belgrader Presse begann eine Hetzserie über Abdi6 und seine engsten Vertrauten, die wie Paschas eines modernen Zeitalters sozialistische Errungenschaften verschleuderten. Aber man deckte anscheinend auch einen unvergleichlichen Schwindel mit ungedeckten Wechseln auf: "Agrokomerz" - so die Staatsanwaltschaft damals - habe über Jahre hinweg mit 2.593 gefälschten Schecks rund eine Milliarde D-Mark von den Staatsbanken hinterzogen. Abdic bestritt alles und behauptet noch heute, die Geheimpolizei habe die ganze Sache nur angezettelt, um das Volk und den Fleiß der Moslems zu diskreditieren.

Der "Agrokomerz"-Skandal wurde ein europaweites Medienthema. Der Internationale Währungsfonds (IWF) forderte eine internationale Untersuchung dieser Finanzschiebereien, ansonsten könne man Jugoslawien keine neuen Kredite gewähren.

Nach ein paar Monaten Aufregung und nach Entlassung von fast 10.000 Beschäftigten des Lebens-mittelkonzerns wurde es still. Erst vergangenes Jahr ließ eine kleine Zeitungsnotiz aufhorchen, man habe Abdic aus gesundheitlichen Gründen freigelassen.

Und im April dieses Jahres war Abdic auf einmal wieder auf der politischen Szene. Er trat mit großen Versprechungen auf, er wolle dem Volk der Moslems in Jugoslawien seine eigene Staatlichkeit geben. Wenn er wieder Macht hätte, erklärte er, dann käme nicht nur die Wahrheit über "Agrokomerz" ans Tageslicht, sondern dann werde "Bosnien wachsen und blühen wie einst Velika Kladusa".

Jetzt hat Abdid die Macht und kann unter Beweis stellen, was er denn wirklich ist, ein Scharlatan oder ein Staatskünstler.

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