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Ein mißlungener Ingenieur

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Amanshauser ist eigentlich kein Schriftsteller, sondern ein mißlungener Mathematiker und Ingenieur, der nur wegen einer unzulänglichen Begabung für wissenschaftliche Arbeiten damit begann, sich auf das Gebiet des Unüberprüfbaren zu verlegen. In seiner Schulzeit hatte er den Reim am Ende der Verszeilen als kindlich oder komisch empfunden, und auch später gelang es ihm nicht, eine heimliche Geringschätzung der schönen Literatur ganz zu unterdrücken.

Die meisten berühmten Bücher langweilten ihn so sehr, daß er sie nicht einmal annähernd zu Ende las. Vor allem die Privataffären und Familiengeschichten ödeten ihn an. Märchen zog er bei weitem vor. Sie waren auch viel kürzer. Amanshau-sers Arbeitsscheu erstreckte sich sogar auf die Lektüre. Lange Zeit konnte er sich nicht dazu entschließen, die Schriftstellerei ernsthaft als Beschäftigung ins Auge zu fassen. Er hätte das wohl nie getan, wenn ihn nicht äußere Umstände dazu gedrängt hätten. Seine Eltern hatten die Unvorsichtigkeit begangen, ihn nicht als Alleinerben eines großen Vermögens zurückzulassen. Sonst wäre der Name Amanshauser entweder gar nicht oder erst sehr spät mit Literatur in Verbindung gebracht worden.

Amanshauser mußte sich also dazu bequemen, Bücher oder wenigstens kleine Bagatellen zu publizieren. Wenn er sie dann in Schaufenstern sah, hatte er irgendwie das Gefühl, nicht der Verfasser zu sein. War er denn wirklich so lange über einer schriftstellerischen Arbeit gesessen? Diese Verwunderung war allerdings nur Teil einer größeren Verwunderung, die ihn überallhin begleitete: Verwunderung darüber nämlich, daß er überhaupt als Mensch und speziell als Ausüber der Bräuche eines bestimmten Zeitalters und eines bestimmten Ortes anerkannt wurde. Er imitierte das Gehabe der Leute ohne jede Überzeugung. Selten konnte er irgendeine öffentliche Einrichtung, sagen wir einen Autobus, benützen, ohne daran zu denken, daß er plötzlich aus seiner fadenscheinigen Rolle fallen und als ein nicht zur Population gehöriges Wesen entlarvt und umringt werden könnte.

Als Verlegenheitsschriftsteller neigte Amanshauser zu satirischen Spitzen. Er war erstaunt darüber, daß diese psychologisch doch leicht durchschaubaren Manöver nicht sogleich als verkappte Racheakte erkannt und diffamiert wurden. Doch in der Literatur geht es zu wie in allen unfundierten Disziplinen: Wenn einer nur lange und suggestiv genug gewisse Launen hervorkehrt, beginnen sie ansteckend zu wirken, und die Leute sind schließlich froh, daß etwas Neues zitiert werden kann. Denn ihre Existenz ist selbst unfundiert.

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