6809541-1972_26_06.jpg
Digital In Arbeit

„Eine österreichische Linie“

Werbung
Werbung
Werbung

Dr. Franz Josef Mayer-Gunthof, Präsident der Vereinigung österreichischer Industrieller, tritt nun endgültig von dieser Position ab, um einem Jüngeren Platz zu machen. Mit seinem Scheiden ist nicht nur der Wechsel einer Person verbunden, wie er sich in solchen Positionen immer wieder ergibt — der Rücktritt des langjährigen Präsidenten bedeutet vielmehr: Abschied nehmen von einer österreichischen Institution. Denn eine solche war Franz Josef Mayer-Gunthof.

Schon in das Leben trat er mit vielen bedeutungsvollen „Belastungen“: er wurde geboren in Wien, der Stadt des Charmes, der Heiterkeit und der Kultur. Er wurde geboren am Geburtstag des Kaisers im Jahre 1894 und erhielt dessen Vornamen in der Taufe. Sein Onkel war Dr. Max Vladimir Freiherr von Beck, der als Ministerpräsident das allgemeine Wahlrecht in Österreich einführte und damit die Demokratisierung der Monarchie einleitete. Die Familie, der er entstammte, kam aus Mähren, dem Land der genialen Köpfe und der von stillem Fleiß Besssenen. Er entstammte einem Land, dessen Menschen es immer wieder zuwege bringen, einen Ausgleich zwischen den verschiedensten Standpunkten herzustellen. Diesen „angeborenen Belastungen“ folgten weitere: das Studium am Theresianum, das Einjährigenjahr bei „Sachsen“-Dragonern, das Studium in Wien und Oxford (und damit die Erlernung und Beherrschung der englischen Sprache, was in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg eine Seltenheit war). Mobilisierung im Juli 1914 und ununterbrochener Einsatz an der russischen Front bis zur Gefangennahme im Jahre 1915. Jahre hinter dem Stacheldraht, die dem Gefangenen die Chance gaben, perfekt auch die russische Sprache zu erlernen, was Jahrzehnte später das Erstaunen so mancher russischer Kongreßteilnehmer erweckte. Flucht in die Heimat beim Ausbruch der russischen Revolution. Vollendung des Jusstudiums in kürzester Zeit.

Mit solchen „Belastungen“ ausgerüstet, wäre es fast selbstverständlich gewesen, daß Franz Josef Mayer-Gunthof in die Diplomatie oder in die Politik eingestiegen wäre, wie es sein Onkel, Baron Beck, ebenfalls wünschte. Aber die Erfüllung dieses begreiflichen Wunsches blieb Mayer-Gunthof versagt. Er mußte in das Familienunternehmen eintreten, das nach dem jungen und so begabten Manne rief. Durch alle Klippen der Wirtschaftskrisen konnte er sein Unternehmen lenken, bis das Dritte Reich hereinbrach und den aufrechten Österreicher ins Konzentrationslager warf.

Ungebrochen überstand er diese Zeit und kehrte abgemagert, aber voller Energie in das neue Österreich zurück. Seine große Zeit begann. Er wurde berufen, eines der größten Textilunternehmen Österreichs und

Europas, die „Vöslauer Kammgarn“, zu leiten. Und er wurde berufen, innerhalb der verschiedensten Gremien am Wiederaufbau Österreichs mitzuwirken, vor allem aber in den Bereichen der Wissenschaft und der Kultur für Österreich einzutreten. Oft hatte man den Eindruck, daß Franz Josef Mayer-Gunthof wie besessen von seinen Aufgaben und wie von einem Rausch der Arbeit gepackt sei. Mit derartiger Intensität und Begeisterung widmete er sich den Aufgaben, die ihm in überreichem Maße aufgebürdet wurden. Sein Arbeitstag hatte 16 Stunden, was nur natürlich ist für einen Menschen, der aus den böhmischen Ländern kommt. Ein Rhythmus jedenfalls, den er auch noch beibehielt, als er nicht mehr zu den Jüngsten zählte.

Der Wunsch, einmal in der Diplomatie oder Politik tätig zu sein, erfüllte sich, als Franz Josef Mayer-Gunthof Präsident der Vereinigung österreichischer Industrieller wurde. In den zwölf Jahren, in denen er dieses Amt innehatte, vertrat er nicht nur die Interessen der Industrie Österreichs gegenüber jedermann, sondern mobilisierte auch die Kräfte der Industrie immer wieder für Kultur und Wissenschaft. Vor allem vertrat er stets eine österreichische Linie: im Sinne des Ausgleichs der Gegensätze und der Überbrük-kung von Gräben, in Erinnerung auch an das leidvolle Schicksal der Ersten Republik. So wurde er zu einer — auch jenseits der Grenzen geschätzten — österreichischen Institution.

Eine solche Bezeichnung verleiht die Geschichte nicht vielen. Doktor Franz Josef Mayer-Gunthof, der nun den Rang eines Ehrenpräsidenten der Industriellenvereinigung einnehmen wird, kann mehr als stolz sein, durch seine Arbeit dieses Epitheton erhalten zu haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung